Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Berlin-Wahl:
Bielefeld (ots)
Manchmal kann Politik grausam sein. Da befinden sich die Grünen in einem noch vor Monaten nicht erahnten Höhenflug, räumen bei Wahlen ab, was es für ihre Verhältnisse abzuräumen gibt. Und ausgerechnet bei der wichtigen Landtagswahl in der Hauptstadt patzt die Politikerin, die zu den Gründungsfrauen der Partei gehört und sogar einmal deren Vorsitzende war. Renate Künast wird aller Voraussicht nach am Sonntag ihr grünes Wunder erleben. Es ist ein Wunder mit Ansage. Seit Wochen steht fest, dass die biedere Herausforderin gegen Amtsinhaber Wowereit, den viele für so charmant halten, keine Chance hat. Bewegt hat Wowereit in fast zehn Jahren nicht viel. Die Probleme in der Hauptstadt türmen sich. Sie reichen von zum Teil miserablen Schulbedingungen bis hin zur extremen Überschuldung und fehlender Konzepte bei Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung. Wowereits Politik ist er selbst. Den meisten Berlinern scheint es offenbar zu genügen, dass ihre Stadt nur als arm, aber sexy bezeichnet wird. Wie Renate Künast hat auch die FDP große Sorgen. Denn auch für die Liberalen kommt es knüppeldick. Sie werden erneut aus einem Landesparlament fliegen. Aber wen wundert das noch angesichts eines Wirtschaftsministers, der regelrecht danach schreit, nicht mehr ernst genommen zu werden? Mit seinen Aussagen zu Griechenland hat Philipp Rösler nicht nur sich selbst und der Kanzlerin, sondern auch seinen Wahlkämpfern in Berlin massiv geschadet. Das Dankesschreiben der Piraten müsste eigentlich längst unterwegs sein. Die Protestpartei wird erstmals ins Parlament einziehen. Eine grüne Bürgermeisterin in Berlin - noch nie standen die Chancen dafür besser. Doch drei Tage vor der Wahl bleibt Renate Künast nur noch Platz drei. Denn hinter Wowereit hat sich CDU-Kandidat Frank Henkel in der Wählergunst nach vorn geschoben. Henkel könnte eine Überraschung gelingen. Zumindest wird er nicht als Verlierer hervorgehen, was angesichts der zuletzt miserablen Wahlergebnisse der CDU schon viel ist. Rot-Grün oder Große Koalition? Wowereit wird sich seinen Partner vielleicht nicht aussuchen können. Sollte es zu einer Großen Koalition kommen, wäre vorerst Schluss mit lustig. Frank Henkel weiß, wie man Wowereit kontert. Der Regierende Bürgermeister wirbt auf Plakaten mit dem Slogan »Berlin verstehen« - Henkel und die CDU stellten auf Schildern die Gegenfrage: »Muss Berlin das verstehen?« Nicht nur damit hat Henkel gepunktet. Es klingt paradox, aber Renate Künasts Reise führt nach der Pleite bei der Landtagswahl wohl zurück in die Bundespolitik. Mit dem Makel, einen Klaus Wowereit bei derart günstigen Rahmenbedingungen für die Grünen nicht aus dem Amt gejagt zu haben, wird sie ewig leben müssen. Sie - und die Partei insgesamt.
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