Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Ägypten
Bielefeld (ots)
Vor einem Jahr stürmten mutige Aktivisten auf den Kairoer Tahrir-Platz und forderten den Regimewechsel. Erst demonstrierten Zehntausende, dann Hunderttausende gegen den Diktator Hosni Mubarak. Sie hatten genug von Korruption, Misswirtschaft und Unterdrückung und riefen nach Freiheit und Demokratie. Drei Wochen später trat Mubarak zurück. Die Revolution hatte gesiegt.
Doch wie substanziell ist dieser Sieg? Ist der Wandel zur Demokratie tatsächlich gelungen? Leider ergibt sich eine gemischte Bilanz. Die Menschen haben zwar die Diktatur beseitigt, doch sie sind vom Regen in die Traufe gekommen: Statt Hosni Mubarak herrscht nun der Militärrat mit eiserner Hand. Militärtribunale, Polizeiwillkür, Demonstrationsverbote und staatliche Unterdrückung verhindern Liberalisierung und Demokratisierung. Angeblich wurden 12 000 Menschen seit Frühjahr 2011 von Militärgerichten abgeurteilt. Und die Generäle - einst »Retter der Revolution« - wollen die Macht nicht abgeben. Dann wäre die Revolution endgültig gescheitert.
Aber noch ist es nicht so weit. Noch hoffen viele, dass die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen eine pluralistische Demokratie hervorbringen. Denn inzwischen hat Ägypten frei gewählt. Dabei wurden aber die islamistischen Muslimbrüder mit 47 Prozent die stärkste Kraft, gefolgt von der radikal-islamistischen »Partei des Lichts«, die 24 Prozent gewinnen konnte. Die weltlich orientierte Ägyptische Allianz erreichte nur den dritten Platz.
Nun befürchten liberal-demokratische Ägypter, die Islamisten und Salafisten könnten das Land in einen »Gottesstaat« verwandeln. Besonders die radikalen Salafisten boykottieren die Demokratisierung. Sie stecken hinter den jüngsten Anschlägen auf christliche Kirchen, bekämpfen religiöse Minderheiten und weltliche Parteien und fordern die Geschlechtertrennung am Strand und in Bussen.
Die demokratische Revolution droht somit, zwischen Militärdiktatur und »Gottesstaat« zerrieben zu werden. Ein Jahr nach der Revolution steht das politische Schicksal Ägyptens auf der Kippe. Der Weg zur Demokratie bleibt steinig und gefährlich.
Dennoch wäre es voreilig, Demokratie in Ägypten schon heute abzuschreiben. Wenn sich das Parlament konstituiert hat, soll eine neue Verfassung entstehen und die Macht vom Militär auf die Zivilregierung übergehen. Allerdings weiß niemand, ob die Verfassung liberale Rechtsprinzipien enthalten wird oder einen fundamentalistischen Staat wie Saudi-Arabien begründet. Ein inner-ägyptischer Kulturkampf zeichnet sich ab.
Noch besteht Hoffnung, dass sich die Demokratie in der unvollendeten Revolution durchsetzt. Sollten sich die Ägypter aber mehrheitlich für einen religiös-fundamentalistischen Staat entscheiden, müssten wir dies respektieren. Jedes Volk hat das Recht, seinen eigenen Weg zu gehen.
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