Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Bundespräsident Gauck:
Bielefeld (ots)
Ganze sechs Minuten hat der neue Bundespräsident gestern gesprochen. Das ist wenig für jemanden, der das Wort so liebt wie Joachim Gauck. Gesagt aber hat der 72-Jährige viel. Viel, was hoffen lässt, dass er dem Amt des Staatsoberhaupts zu neuem Ansehen verhelfen wird. Und viel, was die Hoffnung nährt, dass die unsägliche Debatte darüber, ob Deutschland überhaupt noch einen Bundespräsidenten braucht, rasch verstummen wird. Diese Rede war ein sehr guter Anfang für die Präsidentschaft von Joachim Gauck. Es wäre schon ein Wert an sich, wenn seine Amtszeit erst am 18. März 2017 endet. Rücktritte vor der Zeit vom höchsten Amt in unserem Staat hat es schon zu viele gegeben. Gut ist auch, dass Gauck kein Rekordergebnis eingefahren hat. Die Erwartungen an ihn sind ohnehin hoch genug. Niemandem ist gedient, wenn sie ins Unermessliche wachsen. Auch deshalb hat die Kandidatur von Beate Klarsfeld der Demokratie zur Ehre gereicht. Allein ihr Mut, ohne Aussicht auf Erfolg anzutreten, verdient Respekt. Ihre Lebensleistung tut es erst recht. Ihre 126 Stimmen sind ein kleiner, aber feiner Achtungserfolg. Woher und wohin - auf diese beiden Fragen ist Gauck in seinen ersten Worten als Bundespräsident eingegangen. Er hat klar gemacht, dass er seine persönliche Geschichte weder verhehlen kann noch will. Rhetorisch brillant knüpfte er mit dem Satz »Was für ein schöner Sonntag!« das Band zwischen Geschichte und Gegenwart, zwischen dem 18. März 1990, dem Tag der ersten und einzigen freien Volkskammerwahlen in der DDR, und dem 18. März 2012, dem Tag seiner Wahl zum deutschen Staatsoberhaupt. Inhaltlich konsequent und aller Kritik zum Trotz hält er an seinem Lebensthema, der Freiheit, fest. Wie sollte es auch anders sein? Dieser Joachim Gauck ist ohne diese Grundhaltung nicht denkbar. Wer sich daran reibt, wird sich weiter daran reiben müssen. Zugleich aber hat Gauck deutlich gemacht, dass die Freiheit nicht zu trennen ist von der Verantwortung. Und er hat versprochen, sich neu auf Themen, Probleme und Personen einzulassen. Das zeigt seinen Respekt vor dem Amt und seine Einsicht, dass er als 72-Jähriger noch einmal ein Lernender sein muss. Gauck weiß, dass es dabei auch auf die Kunst des Zuhörens ankommt. Dieser Präsident will die Bürger für ihr Land einnehmen, er will sie in die Verantwortung einbinden. Sein Lob für die »aktive Bürgergesellschaft« kommt nicht von ungefähr. Joachim Gauck, auch das wurde gestern deutlich, verkörpert einen Patriotismus der angenehmen, weil leisen, aber ganz und gar überzeugten Art. Der neue Präsident will eine Brücke zwischen den Menschen und der Politik bauen. Er ist ein parteiloser Präsident, aber er wird ganz sicher kein Antiparteien-Präsident sein. Er wird nicht nur der Politik, sondern er wird auch unserem Land einiges zumuten, weil er den Menschen in unserem Land viel zutraut. In sechs Minuten hat Bundespräsident Joachim Gauck gestern Freude auf mehr geweckt. Was für ein schöner Sonntag!
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