Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Betreuungsgeld
Bielefeld (ots)
Die mediale Aufgeregtheit um den medialen Liebling Steinbrück ist ein Glück für die schwarz-gelbe Koalition. Sie hat den Streit um das Betreuungsgeld in den Hintergrund gedrängt. Jetzt kann man sich mal ungestört um die Sache kümmern und versuchen, so schnell wie möglich die Kuh vom Eis zu holen. Zwar will niemand den Bruch der Koalition - jetzt -, aber ideologisch aufgeladene Streitthemen können durchaus auch eine Eigendynamik entwickeln. Rasches, lösungsorientiertes Verhandeln ist also das Gebot der Stunde. Wie kann die Lösung aussehen? Die Unionsspitze hat einen Fehler gemacht, indem sie das Gequengel der Frauenunion gegen das Betreuungsgeld so ernst nahm und intern so intensiv verhandelte, dass sie darüber die FDP vergaß. Die nutzte den Fauxpas und stellte sich quer, so wie die Union sich vorher immer gegen die Abschaffung der Praxisgebühr quergestellt hat. Der Kompromiss liegt also auf der Hand: Zustimmung zum Betreuungsgeld gegen Abschaffung der Praxisgebühr. Natürlich ist das ein Kuhhandel. Aber er rettet die Kuh und schafft Ruhe. Die Bekundungen von beiden Seiten, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, sind richtig. Der Nachsatz, so ein Deal komme nicht infrage, ist schon Teil der Verhandlung. Im Übrigen sind beide Anliegen sinnvoll. Auf dem sogenannten Wut-Thermometer der Deutschen ist die Praxisgebühr der Aufreger Nummer eins. 85 Prozent der Deutschen wollen sie abschaffen, 84 Prozent regen sich über die Managerboni auf (hier hat Steinbrück wohl das richtige Gespür) und an dritter Stelle rangiert mit 77 Prozent das Gerede der Politiker von der Stärkung der EU zulasten Deutschlands. Das Betreuungsgeld kommt unter den ersten zehn Aufregern überhaupt nicht vor, obwohl viele Medienleute und Politiker allein beim Gedanken daran schon schäumen. Das Volk lässt es kalt. Man kann den Koalitionären also nur empfehlen: Einigt Euch rasch, bevor ihr im Volk wegen des kleinkarierten Streits um Betreuungsgeld und Praxisgebühr selber zum Thema des Wut-Thermometers werdet. Die Einigung hätte noch einen Vorteil: Sie würde das Gerede um die Großelternzeit zum Verstummen bringen. Nach seriösen Berechnungen würden allenfalls 30 000 Großeltern davon profitieren, eine zu vernachlässigende Größe. Viel stärkeres Gewicht könnten Initiativen entfalten, wie sie in Teilen der Wirtschaft umgesetzt werden. Denn nachweislich haben junge Eltern - übrigens in ganz Europa - vor allem zwei Wünsche: mehr Teilzeitangebote und mehr finanzielle Unterstützung. Wenn ein Unternehmen darauf eingeht, gewinnen alle. Es bekommt die dringend benötigten Fachkräfte und diese werden stärker motiviert, weil sie ihre Arbeit besser auf ihre individuellen Bedürfnisse abstimmen können. Selbstbestimmung, hebt nicht nur das Gemüt, sondern auch die Produktion.
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