Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Pussy Riot
Bielefeld (ots)
Die Frauen von »Pussy Riot« sind frech. Ihr »Punk-Gebet« in der Christ-Erlöser-Kathedrale von Moskau kann als Angriff auf die Kirche verstanden werden. Denn welcher russisch-orthodoxe Christ sollte tolerieren, dass der Patriarch seiner Kirche korrupt und ein »Hund« genannt wird? Wir leben in einer Zeit gesteigerter religiöser Sensibilität. Auch in Deutschland würden sich viele Priester, Pastoren und Gläubige gegen die Entweihung ihrer sakralen Institutionen wehren. Ganz zu schweigen von manchen Muslimen, die auf Blasphemie äußerst empfindlich reagieren. Der Unterschied zwischen einem Punk-Auftritt als politischer Provokation oder Gotteslästerung ist klein - auch in säkularen Gesellschaften. Nun behauptet »Pussy Riot«, primär politisch zu provozieren: Ein Angriff auf den Glauben der Menschen sei nicht intendiert. Im Berufungsprozess haben sich die Frauen ja auch bei den Gläubigen entschuldigt. Angriffsziel sei primär die enge Verfilzung von Kirche und Staat im Putin-Reich. Patriarch Kyril I. habe seine Gemeinde dazu aufgerufen, Putin zu wählen. Dadurch habe er seine Kirche politisiert. Ziel der Aktion seien der autoritäre Staat und die ihm gefällige Kirche gewesen - nicht der Glaube und die Religion. Folgt man dieser Logik, dann würden sich die Punk-Damen sowohl für Religionsfreiheit als auch Meinungs- und Demonstrationsfreiheit einsetzen. Die frechen Moskauer Frauen wären dann mutige Freiheitskämpferinnen und keine Gotteslästerer. So verstehen sie sich selbst, und so argumentiert auch ein Großteil der westlichen Presse: Putin dulde keine unabhängige Justiz, die Medien werden staatlich kontrolliert, und das allgemeine Volk wolle seine Ruhe haben. Fest steht, dass das Urteil für zwei der drei Aktivistinnen viel zu streng ist. Auch hat sich die russisch-orthodoxe Kirche für ihre Begnadigung eingesetzt. Sie forderte allerdings, dass die drei Frauen Reue für ihr Punk-Gebet zeigen sollten. Eine Entschuldigung bei den Gläubigen sei nicht ausreichend. Nun hat die russische Justiz ihr Putin-höriges Gesicht gezeigt. Das Verfahren gegen »Pussy Riot« war willkürlich und verstieß gegen die Strafprozessordnung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sollte nun das letzte Wort haben. Russland ist schließlich Mitglied im Europarat und darf verklagt werden. Inzwischen sorgt das ominöse Punk-Gedicht auch in Deutschland für Schlagzeilen: Die Stadt Wittenberg hat »Pussy Riot« für den Lutherpreis 2013 nominiert. Dieser Preis soll Menschen und Institutionen ehren, die bereit sind, im Sinne Luthers »für unerschrockenes Auftreten Unbill in Kauf zu nehmen«. Der Theologe Schorlemmer ist empört. Die Lutherstadt Wittenberg solle keine »Gotteslästerung« ehren. Doch hier gilt die gleiche Logik wie oben: Sollten die russischen Damen als Revoluzzer gegen etablierte Autoritäten gelten, dann hätten sie den Preis verdient. Schließlich hat Luther zugleich gegen Kaiser und Papst rebelliert
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