Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum SPD-Kanzlerkandidaten
Bielefeld (ots)
Es war - ganz klar - nur eine Inszenierung. Die »Wahl« Peer Steinbrücks beim SPD-Sonderparteitag gestern in Hannover war alternativlos. Trotz des Wirbels um die mit Reden und Büchern gescheffelten zwei Millionen Euro an Honoraren hat die SPD Steinbrück fast einstimmig auf den Schild gehoben. Die Sozialdemokraten wissen, dass sie nur mit ihm die alten Helmut Schmidt-Wähler zurückgewinnen. Deshalb gab es keine Möglichkeit, den vorzeitig bekanntgemachten Sieger in der Troika mit Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier noch zurückzuziehen. Darum gilt, Augen zu und durch. Bei allem Ärger über den nächsten »Genossen der Bosse« soll mit allen Mitteln der Stolperstart vergessen gemacht werden. Wie ginge das besser als mit noch längerem Schlussapplaus als für Angela Merkel und mit einem fast kubanischen Wahlergebnis von 93,45 Prozent? Bis zur Landtagswahl in Niedersachsen am 20. Januar wird der neue Schwung reichen. Falls die FDP im Landtag an der Leine den inzwischen üblichen Schlussspurt verpasst und unter der Fünf-Prozent Hürde bleibt, fährt die SPD weiter auf der Überholspur. Dennoch ist der Weg bis zur Bayern- und Bundestagswahl, beide im September, noch weit und steinig. Die CDU hat beim Bundesparteitag vor knapp einer Woche die Richtung aufgezeigt. Merkel nennt ihre Regierung die erfolgreichste seit der Wiedervereinigung. Steinbrück sagt dazu nur scheinbar lässig: »Selten so gelacht«. Merkel betont, dass es noch nie soviel ordentliche Beschäftigung und so geringe Arbeitslosigkeit in Deutschland gegeben habe wie 2012. Steinbrück hält dagegen: die Qualität der Arbeit sei mies, zu viele Aufstocker, Zeit- und Fristverträge. Merkel sagt, ihr Jobwunder mit steigenden Löhnen und wachsendem Wohlstand würde von der politischen Konkurrenz im Kern nicht widerlegt. Die SPD sagt »Ja, aber...«. Kritik im Detail, aber unmöglich am Wirtschaftsboom. Das ist der kleine Unterschied. Mit Steinbrück schickt die SPD ihren besten Redner auf die Märkte und Plätze der Republik. Auch Kritiker erkennen an, dass der SPD-Spitzenkandidat am reinen Markt höhere Rednerhonorare verdient hat als viele, viele andere. Das Schöne: Das Wahlvolk wird ihn völlig kostenlos hören können. Sollte mit Steinbrück Politik wieder Spaß machen, gar Leidenschaft wecken? Durchaus möglich. Steinbrück hat gestern nicht geklotzt. Er ist außergewöhnlich fair mit dem politischen Gegner umgegangen. Als kurz der Eindruck entstand, er hielte Regierungsmitglieder für »Flaschen« und schon riesiger Beifall aufbrandete, trat Steinbrück dem entgegen. Respekt. Wer am Ende dieser politischen Woche nur die beiden Bundesparteitage von CDU und SPD nimmt und sich auf die Hauptfiguren beschränkt, kommt zu dem Schluss: Die Union hat die besseren Argumente, die SPD den besseren Redner.
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