Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Personalchaos in der FDP
Bielefeld (ots)
Die FDP ist und bleibt Deutschlands merkwürdigste Partei. Dem sensationellen 9,9-Prozent-Triumph in Hannover folgten am frühen Morgen erst ein Rücktrittsangebot des Vorsitzenden, dann ein Kneifen des möglicherweise neuen Chefs - und plötzlich sitzen beide fröhlich-strahlend und voller Zuversicht bei der Pressekonferenz und radeln sinnbildlich auf einem Tandem gemeinsam in Richtung Bundestagswahl nach Berlin. Abends (Wahl-)Tango, morgens Tandem: Bei der FDP ist es ein bisschen wie früher bei Klimbim. Es geht drunter und drüber. Aber das ist ja nichts Neues. Der 67-jährige Rainer Brüderle ist also ab sofort das frische Gesicht der Liberalen. Zumindest soll das die Botschaft der FDP-Spitze im Hinblick auf die Bundestagswahl sein. Ausgerechnet der Rainer Brüderle, der gekniffen hat, als ihm der Parteivorsitz auf dem Silbertablett angeboten wurde. Philipp Rösler bleibt Parteichef, und Rainer Brüderle ist neuer Spitzenkandidat. Er wird uns im Herbst von allen Wahlplakaten seiner Partei freundlich grüßen. Das ist die offizielle Version der FDP. Die weniger freundliche lautet: Weil Philipp Rösler keiner mehr ertragen kann - selbst in den eigenen Reihen nicht - braucht die Partei einen neuen Vorzeigemann. Und weil sie keinen neuen hat, muss eben ein alter her: Brüderle. Der Fraktionschef wird Spitzenkandidat für die Bundestagswahl - aber wieso eigentlich? Die CDU hat Angela Merkel, die SPD Peer Steinbrück. Aber wofür braucht die FDP eigentlich einen Spitzenkandidaten? Sicher nicht, um den nächsten Kanzler stellen zu wollen. So blauäugig sind nicht mal die Liberalen. Die Frage bleibt unbeantwortet. Fakt ist, dass in der FDP offenbar ein gnadenloser Personalkampf tobt. Da wird vor der Wahl gemobbt (Brüderle) und nach der Wahl taktiert (Rösler). Mit seinem Rücktrittsangebot hat der FDP-Chef einen raffinierten Schachzug vollzogen und Rainer Brüderle in die Falle gelockt. Der kniff, und plötzlich ist Rösler wieder obenauf. Zumindest hat er der Dauerdebatte um seine Person geschickt ein Ende bereitet - vorerst jedenfalls. Eine weitere Frage bleibt vor lauter Personalgezänk unbeantwortet. Nämlich die, wofür die FDP eigentlich genau steht. Und welche Themen sie künftig besetzen möchte. Aussagen wie »Der Philipp wird sich voll einbringen - und ich auch« von Rainer Brüderle werden nicht reichen, um zu überleben. Dafür braucht man keine Doppelspitze. Dafür braucht man eigentlich gar keine Spitze. Fast zehn Prozent hat die FDP in Niedersachsen geholt. Acht Prozent waren Leihstimmen der CDU. Das ist die bittere Wahrheit. Und zeigt, wie katastrophal es um die Partei bestellt ist. Die FDP will Vollgas geben - mit einem Tandem. Jeder, der damit schon mal im Urlaub unterwegs war, weiß, dass man dazu einen Gleichtritt finden muss. Wie soll das bei diesem »Team« funktionieren? Ohne Plan. Ohne Richtung. Es besteht Sturzgefahr.
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