Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur EU-Finanzsteuer
Bielefeld (ots)
Die Idee einer Finanztransaktionssteuer ist eigentlich bestechend. Unter Ökonomen gibt es zahlreiche Befürworter. Täglich werden hunderte von Milliarden Euro mehrfach um den Globus geschoben, ohne dass dafür der Fiskus die Hand aufhält. Das wiederum hat die Flüchtigkeit des Kapitals weiter beschleunigt und damit auch die Fehleranfälligkeit des Systems erhöht. Eine Abgabe könnte also dazu beitragen, die Strömungsgeschwindigkeit insgesamt zu reduzieren und damit die Finanzsysteme zu stabilisieren. Und: Die Abgabe ist gerecht. Nachdem Banken und Spekulanten vor der Finanzkrise kräftig kassiert und später dann mit Abermilliarden an öffentlichen Geldern vor dem Bankrott gerettet werden mussten, sollen sie nun selbst zur Kasse gebeten werden. Alles spricht also für eine Finanztransaktionssteuer, wie sie zumindest ein Teil der EU-Staaten einführen will. Der neue Entwurf, den EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta gestern vorgestellt hat, ist schärfer als der alte vom September vergangenen Jahres. Er könnte Zustimmung finden bei den elf teilnahmebereiten Ländern - darunter Deutschland. Doch Ärger mit den nicht-teilnehmenden EU-Ländern, ja der ganzen Welt, ist programmiert. Zwar bleibt es beim »Ansässigkeitsprinzip«, nach dem die Steuer fällig wird, wenn eine Transaktionspartei in einem teilnehmenden Mitgliedstaat ansässig ist; aber nun soll die Steuer auch anfallen für den Handel mit Finanzprodukten, die bloß in einem teilnehmenden Mitgliedstaat emittiert wurden (»Ausgabeprinzip«). Das bedeutet zum Beispiel, dass der Handel mit deutschen Bundesobligationen an der New-York-Stock-Exchange auch dann der Steuer unterliegen würde, auch wenn kein Händler aus dem EU-Steuerraum an dem Geschäft teilnimmt. Das US-Finanzministerium hat bereits Bedenken geäußert - und das in einem Moment, wo die EU und die USA über ein transatlantisches Freihandelsabkommen verhandeln wollen. Auch Großbritannien, wo seit 1694 eine Stempelsteuer für den Börsenhandel mit Aktien inländischer Gesellschaften existiert, dürfte negativ reagieren. Fraglich ist zudem, wie garantiert werden soll, dass die Steuer auch tatsächlich entrichtet wird, wenn der Handel an irgendeiner asiatischen Börse stattfindet. Von einem Durchbruch kann also noch keine Rede sein. Europa bleibt ein Flickenteppich. Offen ist auch, ob die elf teilnahmebereiten Länder dem Richtlinienentwurf einstimmig zustimmen, wie es für das weitere Verfahren notwendig ist. Zudem werden Großbritannien und die USA werden alles Mögliche tun, um die Einführung der Steuer zu verhindern. Allen europäischen Hurra-Rufen zum Trotz: So schnell dürfte die Finanztransaktionssteuer also nicht kommen. Zumindest nicht in dieser Form. Rainer Lütkehus ist freier Korrespondent in Brüssel
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