Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Schullandschaft NRW
Bielefeld (ots)
Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) hat am Freitag Zwischenbilanz gezogen. In nur zwei Jahren gehen 129 neue Sekundar- und Gesamtschulen an den Start, im Gegenzug laufen 277 Schulen, überwiegend Haupt- und Realschulen, aus. Nach Jahrzehnten der Glaubens- und Grabenkämpfe in der Schulpolitik lobt Löhrmann den relativ friedvollen Prozess. Der Schulkonsens von Rot-Grün mit der CDU habe dafür gesorgt. Aus Düsseldorfer Sicht ist das zutreffend. Allerdings gilt das nicht, wo etwa eine bestens etablierte Realschule dran glauben musste. Hier hilft der Blick auf das Ganze nichts. Hier herrscht Schulkampf, hier gehen Unterlegene vom Platz, hier bleiben Wunden zurück. Die im Herbst 2012 angestoßene Entwicklung dürfte noch Jahre so weitergehen. NRW erlebt den wohl weitgehendsten Umbau der Schullandschaft seit dessen Gründung. Altgediente Pädagogen gehen bis zur Abschaffung der achtjährigen Volksschule in den 1960er Jahren zurück, um überhaupt Vergleichbares zu finden. Zuletzt hatte die schwarz-gelbe Regierung Jürgen Rüttgers (2005 bis 2010) einen finalen Versuch gestartet, die Hauptschule mit massiver Unterstützung vor der Abwahl durch die Eltern zu bewahren. Das Ergebnis ist bekannt. Hauptschule und Rüttgers blieben die Anerkennung dafür gleichermaßen verwehrt. Das erklärt die Bereitschaft der Union zum Schulfrieden und zum Verzicht auf ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal. Im übrigen sympathisierten zahlreiche CDU-bestimmte Stadträte mit neuen Schulformen, was den nunmehr entfesselten Reformstau erklärt. Niemand vermag zu sagen, ob es 2020 noch Hauptschulen gibt. Das größte Fragezeichen steht hinter der Realschule. Sie war bis 2010 die stabilste Schulform überhaupt. Jetzt ist sie bewusst zur Disposition gestellt. Die Sorge der FDP um das Gymnasium scheint nach bisherigen Zahlen unbegründet. Wichtiger ist wohl, dass die Union Rot-Grün davon abbringen konnte, allein auf Sekundar- und Gesamtschulen zu setzen. Künftig muss es viel mehr um Qualität und Ausstattung der Schulen mit Personal und Inhalten gehen. Nicht nur die jüngste Tarif-Klatsche für fast alle Lehrer macht das schwer. Auch die sich anbahnende Diskussion um den generellen Verzicht aufs Sitzenbleiben zeigt, wo Politik gefordert ist. Schon beklagen die Liberalen im Landtag die schleichende Tendenz zur »leistungslosen Schulen«. Sie schlugen am Freitag nach bei François de La Rochefoucauld: »Es gibt Leistung ohne Erfolg, aber keinen Erfolg ohne Leistung.« In der Tat ist keinem schwachen Schüler gedient, wenn er bis zur Abiturprüfung einfach durchversetzt wird. Die Schulministerin glaubt, das durch Förderung verhindern zu können. Lehrer und Eltern haben erhebliche Zweifel - womit die nächsten Glaubensfrage der Schulpolitik aufgeworfen ist. Immerhin ist es eine, die den fachlichen Streit wert ist.
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