Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Steinbrück
Bielefeld (ots)
Man nehme eine große Halle in Deutschland, versammle 600 bis 1000 Delegierte und warte ganz gelassen die Umfragen am nächsten Wochenende ab. Das gute alte Parteitagsrezept hat ausgedient: Ein automatisches Plus bei der Sonntagsfrage ist schon lange nicht mehr garantiert - auch nicht für Peer Steinbrück, der in Augsburg einmal mehr sein Bestes gegeben hat. Weder Auftritt noch Botschaft unterschieden sich groß von dem, was er beim Sonderparteitag vor vier Monaten als frisch gekürter Kanzlerkandidat in Hannover, in Dutzenden »Klartext«-Reden und bei der jüngsten Delegiertenkonferenz in Bielefeld zu verkaufen hatte. Die Bundesregierung habe nichts mehr im Regal, aber sehr viele schöne Schachteln im Schaufenster, behauptete Steinbrück gestern mit Blick auf den politischen Gegner. Dabei hätte er genauso über sich selbst reden können. Weshalb also die Parole Abwahl die einzig vorstellbare Konsequenz sein soll, bleibt das Geheimnis des Kandidaten und der immer gleichen Delegierten, die Ähnliches auch schon in Hannover zehn Minuten lang beklatscht hatten. 8,50 Euro Mindestlohn, 850 Euro Grundrente für fast alle, Mieterschutz und höhere Lasten auf den breiten Schultern. Die Angebote der SPD sind längst bekannt, aber weder gibt es eine Wechselstimmung, noch bessern sich die SPD-Werte oder gar Steinbrücks Sympathiekurve. Dabei fehlt es nicht an Omnipräsenz. Peer hier, Peer da - und dennoch ist Peer zuhauf allein zu wenig. Selbst der Schulterschluss mit den Grünen eröffnete der SPD in Augsburg nicht neue Perspektiven. Die Paarung aus Kanzlerkandidat Steinbrück und Gastrednerin Claudia Roth wirkte wie Feuer und Eis. Zum anderen: Wer diese Karte spielt, ist schnell bei Rot-Rot-Grün - Fettnapfgefahren eingeschlossen. Die SPD hat gut fünf Monate vor dem 22. September auf Wahlkampf umgeschaltet. Sie muss jetzt alles geben. Aber die Union nimmt den Fehdehandschuh einfach nicht auf. Fast provokativ klingt da die Erklärung von CDU-Bundesvize Armin Laschet, zumindest in NRW wolle sich die CDU zunächst einmal ihrer selbst versichern. Grundsatz- statt Wahlprogramm lautete am Samstag die unaufgeregte Botschaft einer CDU-Konferenz in Köln. Allerdings: Hinter den Kulissen wird auch bei Union und FDP der neue SPD-Steuertarif schon wahlkampfgerecht aufbereitet. Einen kleinen Einblick erlaubte Christian Lindner beim FDP-Landesparteitag, in dem er die SPD-Pläne kurzerhand auf 40 Milliarden Mehrbelastung hochrechnete. Zugleich legte er peinlich genau dar, dass das Abkassieren in NRW schon bei Beamten mit 3200 Euro brutto beginnt. Weitere Pfeile dieser Art, die Gesamtschullehrer und Industriemeister gleichermaßen auf den Zaun treiben, lassen Union und FDP vorerst noch im Köcher. Der Wahlkampf ist von einigen für eröffnet erklärt worden, aber nicht alle gehen schon hin.
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