Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Boston
Bielefeld (ots)
Nach dem 11. September 2001 schien für die Amerikaner alles so klar zu sein: Ein Terrornetzwerk gibt den Auftrag zum Massenmord, willige Vollstrecker führen ihn mit ausgefeiltem Plan durch, El-Kaida muss büßen. Der Feind stand fest. Bei den Anschlägen in Boston ist es anders, auch wenn ebenfalls von radikal-islamistischem Hintergrund gesprochen wird. Kein Geheimdienst kann jeden Einzeltäter stoppen, der mit selbstgebastelten Bomben tötet. Den Terror ausrotten zu können, ist eine Illusion. Das hat Boston auf grausame Weise gezeigt. Trotzdem muss sich das FBI Vorwürfe gefallen lassen. Bereits 2011 erhielt es Informationen, dass sich einer der späteren Attentäter radikalisiert habe. Die Ermittler hörten Telefonate ab, prüften Internetverbindungen, befragten die Familie. Doch die Ermittlungen wurden eingestellt. Kaum vorstellbar, dass es keine Anzeichen gegeben haben soll, dass sogar zwei Brüder innerhalb der Familie derart abdrifteten. Die offenbar aus Russland kommende dringende Bitte zur Beobachtung war ein Warnsignal. Das heißt natürlich nicht, dass absehbar war, dass die Brüder ein Attentat planten. Ein hartnäckigeres FBI hätte aber zumindest die Chance zur rechtzeitigen Aufdeckung gehabt. Der Anschlag hat schlimmste Ängste der Amerikaner Realität werden lassen. Zwei mitten unter ihnen lebende junge Männer richten mit minimalen Mitteln maximalen Schaden an. Die Grenzen der Freiheit und Offenheit einer Nation werden sichtbar. Die stärkste Waffe der Demokratie ist Wachsamkeit. Auch im Umfeld der Attentäter gab es sicher Menschen, die von Plänen wussten, sie erahnten oder Veränderung der beiden sorgenvoll beäugten. Sie schwiegen. Das kostete Menschenleben. Perfekte Sicherheit gibt es nicht. Auch verstärkte Videoüberwachung verhindert keine Straftaten und dient nicht zur Abschreckung. Den Tätern in Boston war es egal, dass sie gefilmt wurden. Dennoch ist die Forderung von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Wolfgang Bosbach (CDU) nach mehr Kameras auf öffentlichen Plätzen richtig. Boston zeigt, wie wichtig das beim Identifizieren sein kann. Schließlich ist vier Monate nach dem Anschlagsversuch in Bonn kein Verdächtiger gefasst. Hätten die Kameras aufgezeichnet, sähe es wohl anders aus. Das ist keine Frage von mehr oder weniger Staat, sondern von mehr oder weniger Aufklärung. Es geht nicht um Missachtung der Privatsphäre, wenn auf öffentlichen Plätzen gefilmt wird. Der Schutz der Rechte des Individuums ist wichtig. Doch wann wird die Allgemeinheit im Dienste dessen gefährdet? Das gilt nicht nur für Videos, sondern auch für Vorratsdatenspeicherung. Wäre sie in größerem Maße erlaubt, könnte Beate Zschäpe eine zentrale Rolle im NSU leichter nachgewiesen werden. Zahlreiche Telefonverbindungen genügten vielleicht. Das wäre im Dienste der Allgemeinheit. Dafür muss der Einzelne zurückstecken.
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