Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum NSU-Prozess
Bielefeld (ots)
Zunächst völlig unaufgeregt hat gestern der erste Verhandlungstag gegen Beate Zschäpe und die Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« begonnen. Die ausländische Presse hat einen angemessenen Platz gefunden und braune Gegendemonstranten blieben der Welt erspart. Trotz hoher Emotionalität bei Angehörigen und Freunden der Opfer gab es mehr Normalität, als viele zu hoffen wagten. Selbst die Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden Richter sind zunächst ein nahezu übliches Prozedere. Dennoch könnte hier Ungemach drohen. Richter Manfred Götzl hat nach dem Buchstaben des Gesetzes gehandelt, als er die Durchsuchung der Verteidiger - ebenso wie aller Zuschauer - verlangte. Dennoch ist seine Skepsis gegenüber den Verteidigern unglücklich. Anders als beim Prozess gegen die Rote Armee Fraktion in Stuttgart-Stammheim treten keine Szene-Anwälte an. Zschäpes Anwälte sind grundsolide Juristen. Es gilt, gründlich aufzuklären und die Verantwortung von Beate Zschäpe, der einzigen Überlebenden aus dem Terror-Trio, offenzulegen. Viel Mühe muss sich das Gericht auch mit den vier Mitangeklagten machen, deren Verstrickung einzuschätzen ist. Noch mehr Zeit werden die knapp 60 Anwälte der 80 Nebenkläger in Anspruch nehmen. Auch deren Anträge haben eine faire Berücksichtigung verdient. Allerdings sollten die Nebenkläger nicht versuchen, den Staat wegen seiner Pannen irgendwie auch noch auf die Anklagebank zu zerren. Der Prozess der politischen Aufarbeitung muss woanders geführt werden, aber nicht im Sitzungssaal A 101 des Oberlandesgerichts München. Gewiss ist: Die Öffentlichkeit darf sich darauf gefasst machen, dass alle Ermittler und Geheimdienstleute, die in den Zeugenstand treten, für Überraschungen gut sind. Besonders spannend dürfte es werden, wenn Widersprüchliches präsentiert wird. Denn: Viele sind Repräsentanten des Versagens. Nicht zu vergessen: Die Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos von der Terrorzelle »Nationalsozialistischer Untergrund« haben sich das Leben genommen, weil sie Angst vor diesem Prozess und der lebenslangen Haftstrafe hatten. Sie haben sich gewaltsam einem Verfahren entzogen, dass ihre Komplizin Beate Zschäpe nunmehr allein durchstehen muss. Kein Mitleid mit der Angeklagten - sie hätte jederzeit aussteigen können-, aber von ihrem Verhalten wird vieles abhängen. Wenn der Vorsitzende es geschickt angeht, wäre sogar vorstellbar, dass Zschäpe noch ihr Schweigen bricht. Gestern schien es so, dass sich die Hauptangeklagte abgebrühter gab, als es in ihrem Inneren möglicherweise aussieht. Dem persönlichen Schmerz der Angehörigen kann das Verfahren nicht gerecht werden. So sehr wir den Familien der acht türkischstämmigen und des griechischen Opfers als auch der deutschen Polizeibeamtin dies wünschen, so hat das Gericht eine andere Aufgabe. Recht zu sprechen.
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