Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Integrationsgipfel
Bielefeld (ots)
»Passgenaue Integrationspläne«, »nachholende Integration« und »Willkommenskultur«: Es sind diese Worthülsen, die es bei allem Optimismus schwer machen, an Wandel in der deutschen Zuwanderungspolitik zu glauben. Geredet wird seit Jahrzehnten, Fehler um Fehler sind benannt. Doch es fehlt der Mut, weitreichende Konsequenzen zu ziehen. Nicht die Migranten müssen sich ändern. Das System braucht eine Generalüberholung. Doch diesen Schritt wagten die Teilnehmer des gestrigen Integrationsgipfels leider nicht. Deutschland braucht Einwanderer. Benötigt wird eine Netto-Zuwanderung von etwa 200 000 Menschen pro Jahr, damit der Fachkräftebedarf gedeckt ist. Dem Land fehlen qualifizierte Menschen. Die kommen nicht automatisch. Doch unser bürokratisches, unflexibles und wenig zielgerichtetes Einbürgerungssystem ist mit einer Steuerung überfordert. Kanada liefert eine Lösung: Einwanderer werden nach Punkten eingeordnet. Sprachkenntnisse, Qualifikation und Alter sind Kriterien. Außerdem wird die aktuelle wirtschaftliche Präferenz von Berufsgruppen ins System eingebunden. So funktioniert intelligente Zuwanderungspolitik. Übertragbar wäre das in Deutschland natürlich nur für Nicht-EU-Ausländer. Innerhalb der EU würde so ein Modell die Freizügigkeitsregel unterlaufen. Doch auch hier hilft ein Blick nach Kanada: Verpflichtende Sprach- und Integrationskurse schon im Heimatland sorgen dafür, dass die Zahl ausländischer Ärzte, die Operationen mit Händen und Füßen erklären, gering ist. In Deutschland nimmt sie zu. Das liegt vorrangig daran, dass es vom Engagement des Arbeitgebers abhängt, wie intensiv neue Mitarbeiter Deutsch lernen. Der Staat lässt Firmen alleine. In Berlin wird oft beschlossen, aber nicht umgesetzt. Bereits im Januar 2012 wurde die Öffnung des öffentlichen Dienstes für Migranten in einem Aktionsplan festgehalten. Doch von Umsetzung keine Spur. Im Gegenteil: Der Anteil ging sogar zurück. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte gestern, den Anteil so zu erhöhen, dass er das Bild in der Gesellschaft wiedergibt. Also 20 Prozent. Eine solche Quote einzuführen hilft jedoch nicht weiter. Das erhöht Akzeptanz nicht, schürt eher Ressentiments. Außerdem stellt sich die Frage, wie eine solche Quote in der Realität umgesetzt werden soll. Hier ein Bewerberstapel Zuwanderer, hier einer mit Frauen, hier einer mit dem Rest. Das heillose Chaos wäre perfekt. Eine durchdachte Zuwanderung hingegen hilft allen. Qualifizierte kommen und dienen als Vorbild. Das baut Vorurteile ab. Vielleicht versteht dann auch der Letzte, dass der gut gebildete Ingenieur aus Portugal genauso auf Unterstützung in seiner neuen Heimat angewiesen ist wie der weniger gut gebildete türkische Fließbandarbeiter. Somit hätte Deutschland etwas aus den gravierenden Fehlern in den 60ern gelernt. Die verfolgen uns schließlich bis heute.
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