Westfalen-Blatt: DAs WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Ägypten
Bielefeld (ots)
Die ägyptische Revolution entwickelt sich geradezu klassisch. Ähnlich wie die große französische Revolution im Bonapartismus endete, so ist auch heute ein General der starke Mann der Regierung. Napoleon Bonaparte entmachtete im November 1799 durch einen Putsch die Regierung. Die Legitimität holte er sich durch seine Reformen und die wiederhergestellte Ordnung nach dem Chaos des Terror-Regimes, was ihm eine bis heute anhaltende Popularität bescherte. Auch General Sisi, der starke Mann in Kairo, will wie Bonaparte seine Herrschaft durch die Straße legitimieren lassen. Sein Aufruf an die Bevölkerung, sich den Demonstrationen der Muslimbrüder entgegenzustellen, war eine Provokation der Muslimbrüder, potenziert noch durch den Haftbefehl gegen Mursi. Die erwartete Konfrontation gab den Militärs die Gelegenheit, gegen die Islamisten auf der Straße hart vorzugehen. Es spricht vieles dafür, dass die Muslimbrüder die Wahrheit sagen, wenn sie behaupten, viele Todesopfer seien von Kugeln in Herz und Kopf getroffen, also von Scharfschützen hingerichtet worden. Noch einmal wollten sich die Generäle nicht von der Straße überrumpeln lassen. Ob Ägypten mit einem Bonapartismus besser gedient ist als mit einer Scharia-Demokratie, bleibt abzuwarten. Die Restauration am Nil ist jedenfalls in vollem Gang. Das Regime der Muslimbrüder brachte nicht die erhoffte Freisetzung von Energien, wie man sie gemeinhin von Demokratien erwartet. Vor allem die bürgerlichen Schichten fühlten sich von der Unfähigkeit der Muslimbrüder, das Land wirtschaftlich zu reformieren, tief enttäuscht. Der Koran ist eben kein Lehrbuch der Ökonomie, und auch als bürgerliches Gesetzbuch einer Demokratie taugt er nicht, auch wenn die islamischen Denkschulen aus ihm und aus den Hadith, den Sprüchen des Propheten des Islam, hunderte Verhaltensnormen für das tägliche Zusammenleben ableiten. Die Generäle sehen das nüchterner. Nur satte Bürger sind zufriedene Demokraten. Ob und wie sie dann beten, sei ihnen überlassen. In Tunesien, im Ursprungsland des arabischen Frühlings, wogt ebenfalls ein Kampf zwischen Annäherung an eine Demokratie und islamistischer Herrschaft. Zwei populäre, freiheitlich denkende Politiker wurden deswegen in diesem Jahr ermordet und kaum einer zweifelt daran, dass die Mörder in den Reihen der Islamisten zu suchen sind. Die radikalen Moslems wollen das Rad zurückdrehen bis ins Mittelalter, notfalls mit Gewalt. Aber in der alten französischen Kolonie ist die Zivilgesellschaft viel weiter entwickelt als in Ägypten. Die Armee hält sich zurück, ein Bonaparte ist nicht in Sicht. Die Partie ist offen. Hier könnte der Druck der Straße Neuwahlen erzwingen und eine Verfassung hervorbringen, die nicht im Sinne der Scharia ausgelegt werden kann. Die Muslimbrüder wehren sich noch. Das ägyptische Beispiel aber rät ihnen zur Vorsicht.
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