Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum NSU-Prozess
Bielefeld (ots)
Es geht um Schuld. Jedoch nicht um die der Ermittler. Im Prozess zum »Nationalsozialistischen Untergrund« spielt ausschließlich die Verantwortung der Angeklagten eine Rolle. Auch wenn sich das viele Angehörige der Opfer anders wünschten. Das ist verständlich, aber eines der größten Missverständnisse dieses Prozesses. Er ist nicht dazu geeignet, Ermittlungspannen aufzuarbeiten. Dafür gibt es Untersuchungsausschüsse. Vor Gericht gilt es zu zeigen, ob Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten schuldig oder unschuldig sind. Auf die Frage, was die Richter bis zur jetzigen Sommerpause erreicht haben, gibt es reichlich Antworten. Es kommt auf die Perspektive an. Neue Beweise gegen Zschäpe gibt es nicht, nur Indizien. Zumindest hat die Aussage von Carsten S. eine neue Fährte ergeben. Er verwies darauf, dass Zschäpes mutmaßliche Komplizen 1999 einen weiteren Anschlag verübt haben könnten. Solche Mosaiksteine sind wichtig, spiegeln aber gleichzeitig den Verlauf des Prozesses wider. Die Beweisaufnahme ist mühselig. Die Puzzleteile liefern einzeln keine stichhaltigen Beweise. Im Ganzen könnten sie allerdings das entscheidende Bild ergeben. Zschäpe trägt nichts dazu bei. Sie schweigt. An ihrer Person zeigen sich die zu hohen Erwartungen an den Mammutprozess. Die Tochter eines Opfers erhoffte sich eine »menschliche Regung«. Der Wunsch ist nachvollziehbar, bleibt jedoch Utopie. Zwei Sprengstoffanschläge, mindestens zehn Tote, mehrere Banküberfälle: Reue oder Emotionalität sind von Zschäpe sicher nicht zu erwarten. Obwohl die Angeklagten im Mittelpunkt stehen, gab es zum Glück Momente, in denen die Opfer - abseits von besonders für die Angehörigen unerträglichen Obduktionsberichten - den gebührenden Raum erhielten. Ein solcher Moment war die Aussage eines Beamten, der zugab, dass Opfer und deren Familien zu Unrecht verdächtigt wurden. Das ist für das Urteil unerheblich, für die Hinterbliebenen unverzichtbar. Viele waren nur gekommen, um das zu hören. Auf eine Aussage Zschäpes zu ihrem Motiv hoffen sie lange nicht mehr. Nach den Peinlichkeiten zu Beginn des Prozesses inklusive Presseplatzchaos ist mittlerweile endlich Ruhe und Disziplin eingekehrt. Die vergiftete Atmosphäre scheint Vergangenheit - das war höchste Zeit. NSU erscheint allerdings nur noch selten auf den Titelseiten. Das war zu erwarten. Laut Oberlandesgericht München ist im Schnitt nur noch ein Drittel der Reporter anwesend, die zu Beginn dabei waren. Jedes Detail ist zwar für das Gericht wichtig. Die Allgemeinheit interessiert jedoch vor allem das Ergebnis. Dabei muss allen klar sein, dass kein Gericht der Welt angesichts von mindestens zehn Ermordeten Gerechtigkeit herstellen kann. Der mittlerweile nicht mehr von Pannen und juristischen Winkelzügen überschattete Verlauf lässt aber hoffen, dass am Ende zumindest ein Urteil herauskommt, das Bestand hat.
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