Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Gladbecker Geiseldrama
Bielefeld (ots)
Ines Falk ist gezeichnet. Die Erinnerungen an die Schreckenstage und -nächte lassen die Frau, die vor 25 Jahren Ines Voitle hieß, nicht los. Bis an ihr Lebensende wird sie die Bilder und die Gefühle nicht verdrängen können, die sich in ihr während des Martyriums des Gladbecker Geiseldramas festgebrannt haben. Sie hat hautnah erlebt, wie der 15-jährige Emanuele de Giorgi von den Verbrechern blindwütig erschossen wurde, wie ihre Freundin Silke Bischoff beim katastrophal geplanten und dilettantisch durchgeführten Zugriff der Polizei nach einem Schuss tödlich zusammenbrach. Sie selbst erlitt dabei eine Schussverletzung, war zuvor die ganze Zeit über der physischen und psychischen Bedrohung durch Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski ausgesetzt. Kein Wunder deshalb, dass eine mögliche Haftentlassung Degowskis bei der heute 43-Jährigen massive Angstzustände auslöst. Allein deshalb wäre es falsch, den Gangster, von dem laut Gutachter keine Gefahr mehr ausgeht, auf freien Fuß zu setzen. Für Falk ist und bleibt Degowski eine reale Bedrohung. Die wäre der Geiselnehmer von damals sicher nicht, wenn die Polizei während seines Verbrechens nicht komplett versagt hätte. Die Aufarbeitung des aus heutiger Sicht schier unfassbaren Geschehens hat gezeigt, dass sich Fehler an Fehler reihte, ehe es zur finalen Katastrophe auf der Autobahn A3 kurz vor der hessischen Landesgrenze kam. Es waren die immer wieder ungeklärten Zuständigkeiten der Behörden, Unfähigkeiten von leitenden Beamten und auch das konsequente Festhalten der SPD-Landesregierung in NRW an der liberalen Innenpolitik, die Rösners und Degowskis Irrfahrt mit ihren Geiseln durch die halbe Republik möglich machten. Weitaus gravierender: Ein durchaus machbarer Zugriff im frühen Stadium der Geiselnahme hätte auch die drei Toten - ein Polizist kam bei einem Unfall ums Leben - verhindert. Gelernt haben die Behörden aus dem damaligen Versagen aber allemal. Neue Strukturen und andere Vorgehensweisen bis hin zum finalen Rettungsschuss stellen sicher, dass sich Geiselnehmer nicht mehr so produzieren können. Ob auch die Medien aus dem unfassbaren und zu verurteilenden Verhalten von damals gelernt haben, ist zumindest fraglich. Zwar dürfte die Polizei heutzutage Annäherungen samt Live-Interviews mit den Tätern wie vor 25 Jahren schon im Ansatz einen Riegel vorschieben. Doch die gewachsene Konkurrenz aufgrund von Internet und Nachrichtensendern, die Möglichkeit, per Smartphone zu twittern und Fotos über Netzwerke zu verbreiten, verschiebt leider viele Hemmschwellen nach unten. Es ist oft schon erschreckend, wie Bilder und Neuigkeiten ungefiltert verbreitet werden. Getrieben von der Hatz nach dem besten Bild und der schnellsten News würde vermutlich auch heute so mancher Reporter oder Fotograf wider besseres Wissen alle Bedenken über Bord werfen.
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