Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Giftgas in Syrien
Bielefeld (ots)
Kurz nachdem die UN-Inspektoren Syrien morgen früh verlassen haben, wollen sie ihre Untersuchungsergebnisse bekanntgeben. Und niemanden wird es überraschen, wenn der Verdacht eines Giftgaseinsatzes bestätigt wird. Doch was heißt das? Die Inspektoren hatten den Auftrag, nach Giftgas zu suchen. Es war nicht ihre Aufgabe, den Verursacher auszumachen. Und der ist weiterhin nicht bekannt. Wer will denn ausschließen, dass die »rote Linie«, die US-Präsident Obama gezogen hat, verbrecherische Einheiten der Rebellen nicht erst auf die Idee gebracht hat, Kinder im Giftgas krepieren zu lassen, um einen US-Luftschlag gegen die Regierung zu provozieren? Die Situation in Syrien ist hoffnungslos verfahren. Die Europäische Union hat eine Chance vertan, als sie es unterlassen hat, zu Beginn der Auseinandersetzung 2011 die oppositionelle Freie Syrische Armee mit Waffen zu versorgen. Damals waren die Kämpfer gegen Assad noch eine vergleichsweise homogene Gruppe, die vor allem aus desertierten Soldaten und örtlichen Rebellen bestand, die ihre Dörfer verteidigten. Inzwischen ist an eine Bewaffnung der Rebellen nicht mehr ernsthaft zu denken, denn längst sind die Oppositionellen von El-Kaida-Kämpfern unterwandert, werden Christen, Kurden und andere Minderheiten massakriert. Was wollen die USA, Großbritannien und Frankreich in dieser Situation, in der die Grenze zwischen den Guten und den Bösen längst nicht mehr trennscharf ist, mit einem Luftschlag erreichen? Assad wird die Angriffe voraussichtlich überleben, während die Raketen Zivilisten das Leben kosten werden. Natürlich ballt jeder, der die Bilder gasvergifteter Kinder, Frauen und Männer gesehen hat, die Faust, und mancher ruft nach Vergeltung. Aber wenn die Welt nicht irgendwann im Chaos versinken soll, wenn Recht und Gesetz nicht völlig verwässern sollen - dann muss sich die Menschheit an jene Regeln halten, die sie sich selbst vor nahezu 70 Jahren gegeben hat. Der Weltsicherheitsrat, bestehend aus den ständigen Mitgliedern Frankreich, Großbritannien, den USA, Russland und China sowie zehn weiteren Staaten, kann ein militärisches Eingreifen beschließen. Er tut es nicht, und niemand sonst ist dazu legitimiert. Wo käme die Welt hin, zöge jeder Staatschef nach Belieben »rote Linien« und schickte beim Überschreiten derselben sofort Raketen los? Die USA sind nicht mehr die moralische Weltinstanz, als die sie sich gerne sehen. Erinnert sei an das Gefangenenlager Guantanamo, in dem nachweislich auch unschuldige Menschen als Rechtlose eingesperrt waren. Erinnert sei an die Folter von Verdächtigen, das Töten mutmaßlicher Terroristen ohne Prozess, das Abhören von Politikern verbündeter Staaten und den im Süden der USA noch immer verbreiteten Rassismus. US-Präsident Obama hat zu Hause genug zu tun. Er sollte jetzt keinen neuen Flächenbrand im Nahen Osten auslösen, dessen Ausmaße niemand abschätzen kann.
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