Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Bundestagswahl 2013
Bielefeld (ots)
Nein, hier folgt kein Wahlaufruf. Besser als Bundespräsident Joachim Gauck kann man gar nicht sagen, dass die Demokratie von Zuschauern nicht leben kann.
Versuchen wir es stattdessen lieber mit einem Nachruf: Was bleibt vom Wahlkampf 2013?
Der ärgerlichste Irrtum: Es gebe keine Unterschiede mehr zwischen den Parteien und ihren Programmen. Doch, die gibt es, und sie sind gewaltig. Es geht um nicht weniger als die Grundsatzfrage, wie wir leben wollen: in einem Land mit noch mehr Staatsgläubigkeit? Oder in einem Land, das die Freiheit des Einzelnen und seine Eigenverantwortung für genauso wichtig hält wie eine gut funktionierende Solidargemeinschaft?
Weil die meisten Menschen mit ihrer aktuellen wirtschaftlichen Situation zufrieden sind, kam diese Debatte viel zu kurz. Die Zukunft scheint vielen weit weg - welch Trugschluss! Stattdessen machte sich lähmende Genügsamkeit breit, an der wir Wähler nicht weniger schuld sind als die Politiker. Das ist auch der Grund, warum mitunter sogar Belanglosigkeiten wie eine Halskette ins Zentrum der Betrachtung geraten konnten.
Aus alledem resultierte als größtes Versäumnis: Über die zentralen Probleme der nächsten vier Jahre wurde kaum gesprochen: Wie geht es mit dem Euro und Europa weiter? Wie kann die Energiewende gestemmt werden? Ganz zu schweigen von einer Agenda 2020, die mit Blick auf unsere Sozialversicherungssysteme dringend notwendig ist.
Die folgenschwerste Fehleinschätzung schließlich lautet: Angela Merkel wird wieder Kanzlerin und deshalb bleibt alles, wie es ist. Mag ersteres noch stimmen, ist letzteres garantiert falsch. Denn egal, welche Koalition fortan regiert: Nichts bleibt, wie es ist. Für Schwarz-Grün - rechnerisch wohl machbar, für viele aber trotzdem unmöglich - versteht sich das von selbst. Aber es gilt auch für die beiden Optionen, die als wahrscheinlich gelten dürfen.
Eine Neuauflage von Schwarz-Gelb gibt es nur unter komplett veränderter Machtarithmetik. Die FDP klar geschwächt, die CSU bärenstark. Der Streit verlagert sich so zwangsläufig ins Lager der Union, während die Liberalen schon froh sind, weiter mitregieren zu dürfen. Doch wird sich die FDP - zuerst in den Ländern - für Bündnisse mit der SPD und den Grünen öffnen müssen, will sie nicht ganz und gar vom Mitleid der Unionswähler leben.
Bleibt die Große Koalition, mit der die meisten schon rechnen und die sich viele allein deshalb wünschen, weil es dann »keinen Streit« gibt. Dabei ist »kein Streit« so ziemlich das letzte, was ein funktionierendes parlamentarisches System gebrauchen kann. An Streit würde es in einer Großen Koalition kaum mangeln, das Problem liegt tiefer. Anders als die Große Koalition, die von 2005 bis 2009 erfolgreich regiert hat, hat Schwarz-Rot dieses Mal keine solide Geschäftsgrundlage.
Zum einen, weil die Kräfteverhältnisse deutlich zu Lasten der Sozialdemokraten verschoben sein werden. Zum anderen, weil die SPD sehr schlechte Erinnerungen an die letzte Große Koalition hat. Darum zielt die Partei heute ja auch wieder stärker nach links als in die Mitte. Die SPD wird folglich von Anfang an darauf erpicht sein, den richtigen Moment für den Ausstieg aus einer neuen Großen Koalition zu suchen und so endlich auch die schier unbezwingbare Kanzlerin aus dem Amt jagen zu können - und zwar deutlich vor 2017.
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