Westfalen-Blatt: das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zur SPD
Bielefeld (ots)
Am Morgen nach der langen Wahlnacht klingelte um 9 Uhr das Telefon bei Sigmar Gabriel. Aber der SPD-Chef ging nicht dran. Nein, es war kein böser Traum des obersten Genossen. Die Bundeskanzlerin war am Telefon, um das »Gespenst« Große Koalition mit ihm zu besprechen . . . Zum Lachen wird Sigmar Gabriel derzeit nicht zumute sein. Der Gedanke an die Große Koalition quält ihn wohl so sehr, dass er am liebsten gar nicht mehr ans Telefon gehen möchte, wenn die Kanzlerin nochmal anruft. Aber ganz im Ernst: Soll man die SPD nun beglückwünschen, dass sie nach dem Aus der FDP möglicherweise für eine Regierung gebraucht wird, oder ihr das Bedauern aussprechen, weil sie in einer Großen Koalition das nächste Opfer der Bundeskanzlerin werden könnte? Juniorpartner in einer Regierung Merkel zu werden, wäre vor allem für den linken Flügel der Partei eine Katastrophe. Sich jetzt aber aus der Verantwortung herauszustehlen und als Verweigerer dazustehen, ist auch nicht viel besser. Vielleicht wäre es für die Sozialdemokraten vorteilhafter gewesen, die Union hätte die absolute Mehrheit erreicht. Aber hätte, hätte Fahrradkette . . , würde Peer Steinbrück jetzt sagen. Der Klartext, wie es mit der SPD weitergeht, ist dem Kandidaten und der Partei über die schmerzliche Wahl wohl etwas verloren gegangen. Keiner weiß ganz genau, was jetzt richtig ist. Da spricht der starke NRW-Landesverband bereits davon, dass »Opposition keine Schande wäre« (Hannelore Kraft), obwohl sie ja nach dem legendären Zitat des Alt-Genossen Franz Müntefering seit Jahren eigentlich »Mist« ist. Ja, was denn nun? Bevor die SPD darüber befindet, ob sie für eine Große Koalition zur Verfügung steht, muss sie ein paar Grundsatzfragen klären: Wer sind wir? Wo stehen wir? Und wo wollen wir hin? Solange das nicht geklärt sind, wird die SPD nicht zur Ruhe kommen. Das Problem gibt es ja nicht erst seit der Wahl, sondern eigentlich seit der Hartz-IV-Gesetzgebung, die Gerhard Schröder seiner Partei trotz massiver Widerstände der Basis zugemutet hat. Und ausgerechnet in ihrem Jubiläumsjahr steht die SPD erneut vor einer Zerreißprobe. Am Ende wird entscheidend sein, ob die SPD eine Partei der Mitte sein will oder künftig für eine klassisch linke Politik der Umverteilung steht. Beides geht nicht. Nach dem zweitschlechtesten Ergebnis ihrer Nachkriegsgeschichte muss sich die SPD bekennen. Will sie nach links, dann sollte sie die Große Koalition absagen und das auch klar kommunizieren. Die Alternative ist, Juniorpartner in einer bärenstarken Merkel-Regierung zu werden - dann aber mit Peer Steinbrück als Vizekanzler. Bis zum Parteikonvent wird man sich gedulden müssen, welchen Weg die Partei geht. Folgt sie Sigmar Gabriels Motto »Erst das Land, dann die Partei« könnte das für die SPD langfristig zum Rohrkrepierer werden.
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