Alle Storys
Folgen
Keine Story von Westfalen-Blatt mehr verpassen.

Westfalen-Blatt

Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Chodorkowski

Bielefeld (ots)

Michail Chodorkowski war kein Waisenknabe, als er am 25. Oktober 2003 aus einem Privatflugzeug geholt wurde und für zehn Jahre in Russlands Gulag verschwand. Am Freitag war der 50-Jährige ein anderer Mensch, als er in St. Petersburg einen deutschen Privatjet bestieg, »und die Wachmannschaften zurücktraten«. Eindrucksvoll hat der einstige Yukos-Chef diese Szene gestern in Berlin beschrieben. Frei fühlte er sich erst, als er im Westen landete.

Zugleich definierte er seine künftige Rolle gegenüber Wladimir Putin. Er wird nicht als moralischer Übervater und potenter Geldgeber der russischen Opposition zur Verfügung stehen, er wird auch nicht ins Big Business zurückkehren. Stattdessen will er für die Freiheit zahlreicher Leidensgenossen kämpfen. Rache sieht anders aus.

Weder politisches Engagement aus dem sicheren Exil heraus, noch ein Prozess um sein geraubtes Vermögen in Russland ist sein Ziel. Chodorkowski will noch nicht einmal westlichen Politikern Ratschläge erteilen, »wie sie sich in Bezug auf einen so schwierigen Menschen wie den Präsidenten meines Landes verhalten sollen.« Soweit jedenfalls die Zielsetzung 36 Stunden nach der Ankunft in Freiheit. Aus Sicht des Kremls ist man einen lästigen Häftling, der viele westliche Staatsgäste immer wieder nachbohren ließ, endlich los. Prompt feierte die Moskauer Presse ihren Präsidenten als allmächtigen Mann, der nach Belieben verdammt und begnadigt.

Wir werden nie erfahren, ob Chodorkowski als Oligarch morden ließ, Öl in unvorstellbarer Menge gestohlen hat oder »nur« Steuern hinterzog. Tatsache ist, dass Chodorkowski für ein Geschäftsgebaren vor Gericht stand, das den anderen Oligarchen in den wilden Zeiten nach dem Bankrott der Sowjetunion zugebilligt wurde. Chodorkowskis Fehler war es, nicht wie die anderen Superneureichen vorzugsweise in die EU zu gehen.

Der so lange Weggesperrte trifft Ende 2013 auf einen Kremlchef, der sich so stark und erfolgreich wähnen darf wie seit langem nicht mehr. Die Ukraine wurde zurück ins russische Lager geholt, Moskau gewährte Edward Snowden »Asyl«, ergriff schneller als andere die Initiative nach dem syrischen Giftgaseinsatz und beim iranischen Atomschwenk. Sogar Obamas Schwäche trägt zu Putins Stärke bei.

Dessen dunkle Seite steht wieder auf der Agenda. Putin werden trotz der anstehenden Sotschi-Show Forderungen nach mehr Rechtsstaatlichkeit nicht erspart bleiben. Das zu tun, ist jetzt die Aufgabe der internationalen Politik. Der überraschend milde Chodorkowski rät vom Boykott der Spiele ab und rückt den Sport in den Fokus. Das sollte auch Maßgabe der Debatte im Westen werden.

Nicht dem Zar, sondern seinen Untertanen muss unser vorrangiges Interesse gelten. Viel zu viele sind inhaftiert, weil sie sich für Umweltschutz oder Menschenrechte einsetzen. Mit einer rührseligen Weihnachtsamnestie mag Putin seine Claqueure beeindrucken. Aber uns doch wohl nicht!

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: Westfalen-Blatt
Weitere Storys: Westfalen-Blatt
  • 22.12.2013 – 20:05

    Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Pkw-Maut

    Bielefeld (ots) - Alexander Dobrindt fängt da an, wo sein Vorgänger und CSU-Parteifreund Peter Ramsauer aufgehört hat: Ja, die Pkw-Maut wird kommen, tönt der neue Verkehrsminister. Schon nächstes Jahr soll es einen Gesetzentwurf geben. Und dann werden sie blechen müssen, diese Ausländer, die heute noch für lau über die schönen deutschen Autobahnen brettern, ...

  • 20.12.2013 – 20:00

    Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Chodorkowski

    Bielefeld (ots) - Hans-Dietrich Genscher, der Altmeister internationaler Diplomatie, hat eine Schlüsselrolle bei der Freilassung Michail Chodorkowskis inne. Nie hätte der - wie man sieht - Topdiplomat im Unruhestand ohne Abstimmung mit »seinem« Auswärtigen Amt gehandelt. Offenbar war der ehemalige Außenminister seit langem eingebunden. An diskreten Vorstößen ...

  • 20.12.2013 – 20:00

    Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur US-Notenbank

    Bielefeld (ots) - Verkehrte Welt? US-Notenbankchef Ben Bernanke unternimmt einen ersten Schritt, um die Politik des billigen Geldes einzuschränken. Das sollte normalerweise die Aktienkurse in den Keller treiben. Schließlich fehlt das Geld nun bei Investitionen. Doch wie so oft halten sich die Anleger nicht an die populären Theorien: Die Kurse gingen fast weltweit ...