Westfalen-Blatt: zum Thema "Edathy und die Große Koalition"
Bielefeld (ots)
Die Parole ist ausgegeben, der Kurs klar: Union und SPD möchten den Fall Edathy politisch so schnell wie möglich zu den Akten legen. Eine Aktuelle Stunde im Plenum - okay, ein Sitzungstag des Innenausschusses - auch in Ordnung, aber das sollte es dann bitte schön auch gewesen sein. Wenn da doch nur nicht diese neugierige Opposition wäre. Vielsagend lässt Wolfgang Bosbach (CDU) wissen, dass er einen Untersuchungsausschuss für nicht notwendig hält. Hans-Peter Uhl (CSU) sekundiert, Regierung und Parlament hätten doch Wichtigeres zu tun, als sich über Monate an der Aufklärung dieser Affäre abzuarbeiten. Da ist eine ganz, ganz Große Koalition am Werk, die vor allem eines beweist: die kalte Arroganz der Macht. Anrufer Thomas Oppermann bedauert an einem Tag mit betretener Mine so viel wie in seiner gesamten Abgeordnetenkarriere nicht und versucht vielsagend zu erklären, was unerklärlich bleibt. Erst recht für einen wie ihn - einen politischen Vollprofi mit zweitem juristischen Staatsexamen und mehrjähriger Erfahrung als Richter. Einen Fehler räumt er natürlich nicht ein und seine SPD hält ihn im Amt, obgleich er die dafür notwendige Reputation längst verloren hat. Der angerufene BKA-Präsident Jörg Ziercke findet alles nicht so schlimm und ist froh, selbst aus der Schusslinie zu kommen. War alles bloß ein Missverständnis. Es muss doch jetzt weitergehen, lautet die kühle Botschaft, die bei alledem mitschwingt. Und damit das Ganze verfängt, wird eifrig an der Legende »Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn . . .« gestrickt. Will sagen: Moralisch war doch sowieso alles ganz sauber. Und, ach ja, nur fürs Protokoll, dass Hans-Peter Friedrich nun zurücktreten musste, tut allen furchtbar leid, vor allem der SPD und Herrn Oppermann... Es ist dreist, mit welcher Chuzpe hier die Koalitionsräson über die Staatsräson gestellt wird. Komödienstadl im Rechtsstaat. Und kaum einer fragt mehr: Ja, was wäre denn eigentlich passiert, wenn Innenminister Friedrich geschwiegen hätte (was seine Pflicht war, so dass sein Rücktritt notwendig war)? Vielleicht wäre Sebastian Edathy dann in ein wichtiges Partei- oder Staatsamt gekommen. Na und? Dann wäre er irgendwann mit eben jenen Vorwürfen konfrontiert worden, mit denen er jetzt konfrontiert ist. Und dann? Dann hätten wir eine größere Krise als jetzt? Quatsch. Dann hätte sich gezeigt, dass die Gewaltenteilung funktioniert, dass vor dem Gesetz alle gleich sind und Politiker keine Sonderrechte genießen. Nun haben wir das genaue Gegenteil davon: neues Misstrauen gegenüber der gesamten politischen Klasse und den Ermittlungsbehörden - gegenüber der Art und Weise, wie sie ihre Arbeit machen, aber auch, wie sie sie machen können. Wenn die Politik demnächst einmal wieder den eigenen Ansehensverlust beklagt, wird sie sich getrost dieser Tage erinnern können. Die Karawane mag weiterziehen, aber der Schaden ist in der Welt. Und er ist riesengroß!
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