Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Spionageaffäre
Bielefeld (ots)
Die Ausweisung des Agenten-Führers in der US-Botschaft aus Deutschland sendet ein klares Signal über den großen Teich. Der Inhalt muss nicht einmal von der NSA dekodiert werden. Washington muss nur einmal hinhören, um dahinter ein lautes »Es reicht!« zu vernehmen. Die traurige Wahrheit ist, dass die Supermacht USA wie üblich auf Durchzug schaltet. Während der zornesrote Michel mit der Faust auf den Tisch haut, demonstrieren die USA ihre Überlegenheit mit Schweigen. Hinter den Kulissen versuchen Einflüsterer aus dem Umfeld des Weißen Hauses die Empörung der Deutschen gar als Taktik schönzureden: Die Bundeskanzlerin müsse etwas Symbolisches tun, um ihr eigenes Gesicht zu wahren. Ein Sturm im Wasserglas, der sich schon wieder lege. Dieselben Quellen nähren den Verdacht, die deutsche Regierung benutze die öffentliche Erregung, um die USA dazu zu bewegen, den BND zum Partner in der Zusammenarbeit der Geheimdienste neben Kanada, Großbritannien, Neuseeland und Australien zu machen. Gewiss geht es auch um gekränkten Stolz und Selbstachtung einer Nation, die es bisher ablehnt, sicherheitspolitisch voll erwachsen zu werden. Die Delegation dieser Verantwortung bei jeder Gelegenheit an die USA betrachtet der »große Bruder« als Einladung zur Einmischung. Auch da muss sich etwas ändern. Umgekehrt drohen die Amerikaner der Arroganz ihrer Macht zu erliegen, wenn sie nicht realisieren, wie fundamental sich die politischen Erdplatten bewegen. George W. Bush ignorierte diese Warnungen, als er unilateral unter Missachtung des Völkerrechts in den Irak einmarschierte. Barack Obama scheint sie mit Blick auf die Aktivitäten seiner Geheimdienste in den Wind zu schlagen. Eine Supermacht braucht zur Durchsetzung ihrer Interessen militärische Stärke, aber auch »Softpower«. Damit gemeint ist die Fähigkeit, bei anderen den Wunsch zu erzeugen, so zu werden wie sie. Nicht weniger als diese Anziehungskraft steht auf dem Spiel. Sie mit Spionen und Überwachung von Freunden weiter zu riskieren, ist ein Zeichen der Schwäche und in der Tat zum Weinen dumm. Zumal die Amerikaner vermutlich nichts von dem, was ihre US-Spitzel beim BND oder im Verteidigungsministerium herausfanden, nicht auch durch ganz normale Kanäle bekommen hätten. Wem die transatlantischen Beziehungen wirklich am Herzen liegen, sollte ein Signal senden, das von Washington nicht überhört werden kann. Die Ausweisung des US-Diplomaten war ein erster Versuch, der kaum ausreichen dürfte. Bessere Aussichten hätten eine Einladung Edward Snowdens zur Aussage vor dem deutschen NSA-Untersuchungsausschuss und die Aufkündigung des »Safe Harbour«-Abkommens. Beides machte den Amerikanern nachhaltig deutlich, dass sich etwas ändern muss, wenn die oft beschworene Werte-Gemeinschaft nicht zur Floskel verkommen soll. Fragt sich, ob Berlin den Mut dazu hat.
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