Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Frankreich
Bielefeld (ots)
Es wird natürlich höflich miteinander gesprochen, früher gab es auch gehauchte Handküsse. Aber hinter den medialen Kulissen gibt es einen handfesten Krach. Frankreichs Premier benutzt Deutschland als billigen Blitzableiter, im Auftrag seines Präsidenten. Weil das Duo Manuel Valls/François Hollande sich nicht traut, die Sozialausgaben zu senken und strukturelle Reformen anzupacken, und weil man die Steuern nicht noch weiter erhöhen kann, sucht man Schuldige im Ausland. Da bietet sich das angebliche Spardiktat der Angela Merkel an.
Denn dafür findet man leicht Verbündete in Europa, den Genossen Matteo Renzi in Rom, die Belgier, die Portugiesen, die Griechen sowieso und tutti quanti, die lieber Geld ausgeben als um Stabilität ringen. Auch den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, darf Valls auf seiner Seite wähnen.
Aber die Sache hat einen Haken: Ohne Reformen verliert die französische Wirtschaft weiter rapide an Wettbewerbsfähigkeit. Die Franzosen arbeiten zu wenig wegen der 35-Stunden-Woche, die eine heilige Kuh der Linken und der Gewerkschaften ist. Deshalb sind die Arbeitskosten in der Produktion mit die höchsten in der EU. Viele Franzosen gehen schon vor 60 in Rente, aber das Rentensystem ist eine weitere heilige Kuh.
Überhaupt ist Frankreich das Land mit den höchsten Sozialausgaben nicht nur in Europa, sondern weltweit. Gemessen am Bruttosozialprodukt sind es 33 Prozent, in Schweden 28, in Italien 28, in Deutschland 26 Prozent. Selbst Griechenland liegt mit 22 Prozent deutlich niedriger. Ohne Reformen bleibt Frankreich ein Fass ohne Boden, ohne Sparen und Haushaltskonsolidierung beschleunigt sich die Fahrt in die Pleite.
Das weiß auch Valls. Aber er braucht rasche Erfolge, sonst laufen ihm die Truppen im Parlament davon. Die Vertrauensabstimmung vergangene Woche hat gezeigt, dass die Mehrheit schmilzt wie Butter in der Sonne.
Den schnellen Erfolg erhofft man sich von staatlichen Investitionen und das geht mit weitergehenden Sparprogrammen nicht, auch wenn der deutsche Genosse Sigmar Gabriel noch so viel Verständnis für die Wünsche aus Paris zeigt.
Druck hat Premier Valls nicht nur in den eigenen Reihen. Mit Nicolas Sarkozy, Alain Juppé, François Fillon und Marine Le Pen sitzt ihm eine zwar zerstrittene Opposition im Nacken, aber »Sarko« sammelt wie der Kaiser nach der Landung aus Elba rasch neue Truppen zusammen. Die nächsten Millionen-Demonstrationen sind nur eine Frage der Zeit. Premier und Präsident sind angeschlagen.
All das weiß man auch in Berlin und bleibt deshalb gegenüber der Kritik gelassen. Man gönnt den Freunden an der Seine das Ventil. Offener Krach hilft nicht. Frankreich ist der größte Kunde Deutschlands und umgekehrt, die Verflechtung der karolingischen Kernstaaten ist dicht, so laut die Nationalisten an Spree und Seine auch tönen mögen.
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