Westfalen-Blatt: Fleischkonzern Tönnies vor Markteintritt in den USA - Clemens Tönnies kritisiert Kartellamt
Bielefeld (ots)
Deutschlands größter Fleischkonzern Tönnies steht unmittelbar vor dem Start von Exportaktivitäten in die USA. Das Unternehmen hat vergangene Woche die Zulassung für den US-Markt erhalten. Konzernchef Clemens Tönnies sagte dem in Bielefeld erscheinenden WESTFALEN-BLATT in einem Exklusiv-Interview: "Das ist etwas, worauf wir richtig stolz sind." Tönnies werde Schweinefleisch in die USA exportieren und habe dort gute Marktchancen: "In den USA brauchen sie Fleisch für Barbecue, vor allem Rippchen. Es gibt eine Unterversorgung mit diesen Artikeln. Davon haben wir große Mengen und die werden wir dorthin exportieren."
Tönnies treibt die Internationalisierung auch wegen des für die Fleischbranche bereits seit Jahresanfang geltenden Einfuhrverbots in Russland voran. Zum wichtigsten Exportmarkt habe sich für Tönnies deshalb China entwickelt. "Wir haben Rekordverladungen nach China, die monatlich steigen. Asien insgesamt haben wir als Markt stark erschlossen." Darüber hinaus baut sich Tönnies neue Geschäftsfelder mit Nebenprodukten auf. Die Testproduktion zur Gewinnung des Heparingrundstoffs aus dem Darmschleim von Schlachtschweinen soll am 4. November anlaufen. "Als nächstes wollen wir eine Insulinproduktion bauen", sagt Tönnies. Die Veredelung der Rohstoffe solle "mal 60 bis 80 Millionen Euro Umsatz im Jahr" bringen. Für das laufende Jahr erwartet Clemens Tönnies trotz gesunkener Schweinepreise wegen steigender Mengen einen Konzernumsatz "mindestens" auf Vorjahreshöhe (5,6 Milliarden Euro).
Scharf kritisiert Tönnies das Bundeskartellamt im Zusammenhang mit den Kartellstrafen gegen Wursthersteller, die zulasten des Handels Preise abgesprochen haben sollen. "Was das Kartellamt mit der Fleischbranche macht, ist argumentativ an den Haaren herbeigezogen. Das schützt nicht den fairen Wettbewerb, sondern beschädigt ihn. Wenn es Recht ist, dass Denunziantentum ein unterstütztes Geschäftsmodell werden soll, dann prost Mahlzeit. Und dieses Denunziantentum belohnt die Unternehmen, die neue Kapazitäten aufbauen, und die Mengen von denen aufnehmen, die an den Strafen zu Grunde gehen." Vor allem für viele Mittelständler gehe es um die Existenz. Tönnies: "Die Marktkonzentration der Produktion wird voranschreiten, wenn das Kartellamt weiter so handelt und den Lebensmittelhandel gegenüber den Produzenten bevorteilt."
Ungeachtet der Exportsperre bleibt Russland für Tönnies im Blickpunkt - auch wegen der dort mit Partnern laufenden Aktivitäten zum Aufbau von Schweinemastbetrieben und Schlachthöfen. "Wir entwickeln uns zum größten Lebendschweineproduzenten Russlands", sagt Tönnies. Zwölf Schweinefarmen seien in Betrieb, vier weitere im Aufbau. Die Planungen für den Bau des Schlachthofes liefen. "Ich denke, dass wir in drei Jahren den Betrieb aufnehmen."
Sein Verhältnis zu Russlands Präsident Wladimir Putin sei nach wie vor "gut". Tönnies äußert sich auch zum Konflikt Russlands mit der Ukraine und dem Westen und Putins Rolle dabei: "Ich trage sicher nicht alles mit, was er tut und zu dem Problem beigetragen hat. Ganz im Gegenteil. Da bin ich kritisch." Er sei "aber guter Hoffnung, dass jetzt alle miteinander vernünftig werden. Weil eine zweite Eiszeit zwischen Russland und Europa, vor allem Deutschland, können wir uns nicht erlauben. Wirtschaftlich nicht und menschlich sowieso nicht."
Zum Machtkampf mit seinem Neffen Robert Tönnies, dessen Klage auf Widerruf der Schenkung eines Fünf-Prozent-Anteils am Unternehmen an seinen Onkel wegen "groben Undanks am 10. November verhandelt wird, sagte Clemens Tönnies: "Wir werden den Prozess nutzen, um viele Dinge klarzustellen." Er habe im Sinne des Unternehmens "bislang auch vieles ohne Reaktion ertragen, was in die Welt gesetzt worden ist". Auf die Frage, ob er die Vorwürfe als ungerecht, sogar undankbar empfinde, sagte Clemens Tönnies: "Ich habe 20 Jahre keine Sekunde darüber nachgedacht, dass ich mich vor Gericht für meinen Einsatz und meine Lebensleistung rechtfertigen muss. Das empfinde ich natürlich als undankbar." Er sei aber "der allerletzte, der sich nicht einigt im Sinne des Unternehmens".
Auf die Frage, ob ein Börsengang weiter eine mögliche Lösung in dem Konflikt sei, erklärte Clemens Tönnies: "Wir haben alle Möglichkeiten durch die Neuausrichtung, an der sich der Streit ja auch mit entzündet hat. Ich will dieses Unternehmen als Familienunternehmen erhalten. Dafür will ich alles tun, das ist mir wichtig." Er könne das aber nicht gegen den Willen seines Neffen und Mitgesellschafters tun.
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