Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Obama
Bielefeld (ots)
Vordergründig hat die Wut der Schwarzen in Ferguson über den ungesühnten Tod des 18-jährigen Michael Brown nur wenig zu tun mit der Aufruhr der »Tea Party«-Populisten gegen den Alleingang des Präsidenten bei der Einwanderung. Wer ein bisschen tiefer gräbt, stößt sehr schnell auf eine gemeinsame Wurzel des Unbehagens: Misstrauen in die Institutionen der Demokratie verbunden mit einer tiefen Unzufriedenheit über die politischen Führer, die es nicht schaffen, sich aus der Selbstblockade zu befreien. Die Proteste der vergangenen Tage kehren Amerikas Seelenlage nach außen. Schwarz gegen Weiß. Reich gegen Arm. Nord gegen Süd. Stadt gegen Land. Republikaner gegen Demokraten. Die Verwerfungen in der einst für ihren notorischen Optimismus bekannten Nation brechen in ungewohnter Heftigkeit aus. Kompromissfähigkeit in dem auf Konsens angelegten System der amerikanischen Selbstregierung ist Mangelware. Stattdessen stehen die Zeichen auf Konfrontation. In Ferguson drückte die sich in roher Gewalt aus. Mit eingeschlagenen Scheiben, brennenden Häusern und Straßenschlachten zwischen krawallbereiten Randalierern und hochgerüsteten Sicherheitskräften. Subtiler aber nicht minder folgenreich erwies sich die kalte Logik des Staatsanwalts von St. Louis, der den Todesschützen des jungen Schwarzen trickreich weißwusch. Der resultierende Freispruch verstärkte den ohnehin vorhandenen Verdacht in den Armenvierteln Amerikas, dass Recht und Gerechtigkeit wenig miteinander zu tun haben. Weil die Bewohner besser situierter Nachbarschaften diese Erfahrung nicht teilen, fällt es ihnen schwer, das Misstrauen nachzuvollziehen. Der Preis der Segmentierung ist Unverständnis. Erkennbar auch bei der Einwanderung, dem anderen Reizthema der vergangenen Wochen. Weil der Präsident bis zu fünf Millionen Einwanderer ohne Papiere im Alleingang vor der Abschiebung schützt, erklärt ihm die neue republikanische Mehrheit im Kongress den Krieg. Statt über ein Gesetzespaket zur Reform der Einwanderung abstimmen zu lassen, das leicht eine Mehrheit fände, denken die neuen Herren auf dem Capitol Hill über Schikanen nach. Von aussichtslosen Prozessen bis hin zu dem Versuch, der Regierung den Geldhahn abzudrehen. Was fehlt sind politische Führer, die den Mut und die Kraft haben, sich über einflussreichen Lobbygruppen hinwegzusetzen, die Kompromissbereitschaft mit politischem Liebesentzug abstrafen. Die inneren Verwerfungen in den USA werden sich mit schönen Worten allein nicht überwinden lassen. Das geht nur über den Nachweis der Handlungsfähigkeit der Politik. Danach sieht wenig aus, solange die gleichen Phänomene so entgegengesetzt wahrgenommen und interpretiert werden. Das Ergebnis ist eine nachhaltige Führungskrise, die aus den Vereinigten die Uneinigen Staaten von Amerika macht.
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