Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu den Filmfestspielen in Cannes
Bielefeld (ots)
Die traditionelle Reihenfolge der Artikel in der 3. Person Singular lautet der - die - das, eine Grammatik, die beim Filmfest in Cannes sehr schön durchdekliniert wird: Der Regisseur im Wettbewerb, die Filmemacherin am Rande dabei, das Deutsche außen vor. Neuerdings sind nicht mal mehr Selfies erlaubt, in der Regel die einzigen Trophäen, die Deutsche von der Côte d'Azur nach Hause tragen. 17 von 19 Filmen, die um die »Goldene Palme« wetteifern, wurden von Männern gedreht, nur zwei von Frauen. 12 von 19 kommen aus Europa, kein einziger aus Deutschland. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Arthousefilm, also nicht auf Unterhaltung, sondern auf der Behandlung gesellschaftskritischer Fragen. Da müssten wir Deutschen in Cannes doch ein Heimspiel haben.
Weit gefehlt. Denn in Deutschland misst man den Erfolg eines Films am Kartenverkauf - mehr Kriterien hat man nicht. Über Qualität aber entscheidet nicht der Cineast, sondern die Branche bewertet sich selbst: In der Deutschen Filmakademie schustern sich 1600 Filmschaffende wechselseitig die Preise zu, genauso, wie das in der Krimiautorenszene seit Jahren Praxis ist. Künstlerischer Inzest. Eine Vorauswahl ist dann bereits getroffen: durch die Fernsehsender. Die zahlen hohe zweistellige Millionenbeträge in die Fördertöpfe, verlangen aber im Gegenzug natürlich Filme, die problemlos zu Vorabendbelanglosigkeit, Prime-Time-Dramolett und Betthupferl verwurstet werden können. Die Filmkunst wird ins Prokrustesbett des Programmschemas gepresst.
Produzenten freut das so, dass sie die künstlerischen Unterschiede zwischen Film und Fernsehen schlicht leugnen und Kultur und Wirtschaft als zwei Seiten derselben Medaille verklären. Beispiel: »Fack ju Göhte«. Ein Riesenerfolg. Allerdings einer, dem mit mehr als drei Millionen Förder-Euros aufs Pferd geholfen wurde. Welche Gewinne »Göhte« wirklich eingefahren hat, ist geheim: Branchen-Usus. Und sollte etwas auf der Haben-Seite verblieben sein, so fließt die Summe nicht etwa in die Förderung anderer Filme, sondern in den Aufguss des Altbewährten, in Teil 2 und 3, in Sequel, Prequel, Tralala. Spiel's noch einmal, Johann Wolfgang. Diese Entwicklung ähnelt der in den USA wie ein faules Ei dem anderen. Auch dort folgt Fortsetzung auf Fortsetzung, weil Produzenten wie Regisseure das Risiko scheuen, Neues zu versuchen. Und wieviele US-Filme laufen in Cannes? Zwei.
La le lu, nur der Mann im Mond schaut zu, wenn deutsche Filme flimmern. In den 60ern traten ein paar Mutige an, die ewigen Hannis & Nannis durch Figuren aus Fleisch und Blut zu ersetzen. Die meisten dieser Visionäre sind entweder tot oder in Rente, ihre Epigonen halten bei den Filmförderanstalten die Hand auf. Tödlich für jede Kreativität im Drehbuch. Und ungeeignet für ein großes Festival.
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