Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur CDU/CSU-Fraktion
Bielefeld (ots)
Volker Kauder hatte bislang wenig gemeinsam mit Herbert Wehner. Der frühere SPD-Fraktionschef (1969 - 1983) galt als Zuchtmeister alten Stils. Er war in der Wahl seiner Mittel wie seiner Worte nie zimperlich. Jetzt zieht auch der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Zügel an. 60 Nein-Stimmen bei der Probeabstimmung über das dritte Hilfspaket für Griechenland haben ihm zugesetzt. Aus dem üblichen Kesseltreiben gegen Abweichler hinter den Kulissen ist eine öffentliche Kampfansage geworden. In der »Welt am Sonntag« teilte Kauder mit, die Neinsager könnten nicht in Ausschüssen bleiben, in denen es darauf ankommt, die Mehrheit zu behalten, etwa im Haushaltsausschuss. So die glasklare Drohung, die allerdings zwei Fehler enthält. Ausschussmitglieder können nicht abberufen werden und die Regierungsmehrheit ist in einer Großen Koalition sowieso sicher. Abweichler bekamen allerdings auch zu Wehners Zeiten zu spüren, dass sie bei der Neubesetzung von Ämtern den kürzeren ziehen. Das ist dann aber auch schon die Höchststrafe, mit der Kauder jetzt seine Leute auf Kurs bringen kann. Und das ist auch gut so. Denn der Bundestagsabgeordnete ist laut Grundgesetz allein seinem Gewissen verpflichtet. Im politischen Alltag gibt es jedoch eine Reihe nachgeordneter Umstände, die der vom Volk und nicht von von einer Fraktion gewählte Abgeordnete beachten sollte. Das wäre zuvorderst der Wähler. Unter ferner liefen sollte die Fraktion mit ihrer Satzung rangieren. Letztere sieht vor, dass die Mitglieder nach interner Meinungsbildung am Ende der Mehrheitsmeinung folgen. Darauf beruft sich Kauder. Allerdings kommt das Wort »Fraktion« im Grundgesetz nur beiläufig vor und Parteien sind laut Verfassung lediglich Mitwirkende bei der Willensbildung. Sie haben mitnichten Weisungsbefugnisse. Die Entrüstung innerhalb der Fraktion ist groß. Auch Abgeordnete, die dem dritten und gewiss nicht letzten Hilfspaket für Griechenland zugestimmt haben, fühlen sich als Stimmvieh brüskiert. Da hilft es auch nicht, dass Kauder gestern verbreiten ließ, das sei alles nicht so gemeint gewesen. Es ginge um Appelle an den Korpsgeist der Fraktion. Alles weiße Salbe. Die Abgeordneten sind zu oft vergattert worden, einer Linie zu folgen, die spätestens am Freitagabend im heimischen Wahlkreis nur noch schwer zu halten war. Kauder muss aufpassen. 236 seiner 311 Mitglieder zählenden Fraktion sind direkt gewählte Volksvertreter. Das macht sie besonders unabhängig und im Konfliktfall streitbar. 60 Nein-Stimmen zuzüglich fünf Enthaltungen und einige Fälle von Diplomatengrippe machen schon mehr als 20 Prozent der Fraktion aus. Das sind nicht ein paar ewige Abweichler, das ist die letzte Warnung, den alten Onkel Wehner ruhen zu lassen.
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