Westfalen-Blatt: zur Flüchtlingspolitik
Bielefeld (ots)
Die Kölner Schreckensnacht hat alles verändert. Auch die letzen Schranken des Anstands drohen hinweggefegt zu werden. Nicht nur in den asozialen Netzwerken geht es finster zu. Auf den Straßen nehmen selbst ernannte Bürgerwehren das Recht in die eigene Hand. Und ein bayerischer Landrat macht sich mit einem Bus voller Flüchtlinge auf große PR-Tour. Wird dieses Land jetzt vollends verrückt? Zur weit verbreiteten Hysterie gesellt sich die große Heuchelei: Die gleiche CDU, die Angela Merkel noch vor wenigen Wochen in staatsratsverdächtiger Manier gehuldigt hat, übt sich nun in Absetzbewegungen. Zum Aufstand samt einem Antrag auf Grenzschließung fehlt aber doch der Mut. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) prophezeit: »Die Kanzlerin wird sich im Laufe des Jahres korrigieren müssen.« Bestimmt Angela Merkel die Politik der Bundesregierung allein? Hat die SPD die Koalition verlassen? Oder wollte sie von vornherein eine andere Politik - und wenn ja, warum haben Vizekanzler Sigmar Gabriel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und die SPD-Länderchefs dann nie etwas gesagt? Nein, so macht man das natürlich nicht. Das würde ja die eigene Mitverantwortung betonen. Viel verlockender ist es, noch für die komplexeste Sache die einfachste Antwort zu haben. Und die lautet aktuell: »Ohne Angela Merkel hätte Deutschland diese ganzen Probleme nicht.« Nun könnte man sich die Mühe machen, zu erläutern, dass die Kanzlerin die Flüchtlinge zu keinem Zeitpunkt eingeladen hat und dass sie vor allen Selfies und jedem »Wir schaffen das« einem Mädchen namens Reem erklärt hat, dass Deutschland nicht alle Probleme der Welt lösen könne (wofür sie heftig kritisiert wurde). Und man könnte ergänzen, dass Angela Merkel andauernd betont, die Flüchtlingszahlen müssten drastisch gesenkt werden. Das zweifellos wird ohne die Hilfe unserer europäischen Partner nicht gelingen, und danach sieht es leider nicht aus. Ja, die Lage ist verfahren, und eine rettende Idee hat die Regierung Merkel nicht vor Augen. Doch wahr bleibt eben auch, dass es in der Flüchtlingspolitik keine schnellen Lösungen gibt. So wundert es wenig, dass zwar alle klagen, so könne es nicht weitergehen, aber kaum einer sagt, wie es weitergehen soll. Grenzen dicht - und dann? Wenn dieses Land ein Rechtsstaat bleiben will, der sich weiter an den eigenen Wertemaßstäben orientiert und an internationale Vereinbarungen wie die Genfer Flüchtlingskonvention hält, werden wir viel Geduld brauchen. Alles andere ist eine Illusion. Oder aber wir müssen »Dinge tun, die niemand will«, wie Stephan Weil nicht ohne Grund rumdruckst. Was sicher auch heißt: zigtausende Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken zu lassen und weitere Zigtausende an den EU- Außengrenzen abzuweisen, damit sie dann dort verrecken. Vielleicht halten wir alle noch mal inne und denken neu nach.
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