Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Flüchtlingspolitik
Bielefeld (ots)
Die Gipfel-Bilanz der Kanzlerin überrascht kaum, ist aber trotzdem gewagt: »Viele waren sich einig, dass das ein Durchbruch ist«, sagte Angela Merkel - und das berühmte Pfeifen im Walde war unüberhörbar. Denn manch ein EU-Partner sieht das ganz anders - Österreich und die Osteuropäer wie immer vorneweg. Keine Frage, auch die Kanzlerin hätte gern mehr mitgenommen aus Brüssel als eine neuerliche Hängepartie. Aber allein die Tatsache, dass die EU weiter um eine gemeinsame Linie in der Flüchtlingspolitik ringt, ist ein Erfolg für sie. Aufhorchen ließ noch etwas anderes. Zur Frage, ob ihr mit Blick auf die drei Landtagswahlen am Sonntag nicht ein größerer Fortschritt lieber gewesen wäre, sagte die Kanzlerin, die Entwicklung nehme »keinerlei Rücksicht auf nationale politische Termine«. Das trifft Guido Wolf und Julia Klöckner mit voller Wucht. Denn wer es bisher noch nicht wusste, der weiß es jetzt: Dieser 13. März ist nicht der Fixstern, an dem Angela Merkel ihren Kurs ausrichtet. Teile der CDU (und die gesamte CSU) mögen an dieser Haltung verzweifeln. Doch im Kanzleramt wird schon eifrig an einer Erzählung gestrickt, nach der es im Zweifelsfall nicht der Kurs der Kanzlerin war, der den Spitzenkandidaten die Tour vermasselt hat, sondern deren Abrücken vom Kurs der Kanzlerin. Apropos Erzählung: Es spricht viel dafür, dass das Angebot der Türkei an die einigermaßen verdutzten EU-Mitglieder mindestens so sehr in Berlin wie in Ankara ausgeheckt worden ist. Zumindest steht die Offerte in Merkels Linie, Europa auch in der größten Not zusammenzuhalten. Mehr als ein Symbol ist es auch, dass der Satz »Die Balkanroute ist geschlossen« nicht ins Abschlussprotokoll gelangte. Im letzten Moment hat Merkels Veto gewirkt, obwohl Sonntagabend noch viel darauf hindeutete, dass Victor Orbán, Horst Seehofer und Co. ihr Ziel erreicht hätten. Und was ist nun in der Sache? Das Angebot der Türkei ist zweifelsohne mit erheblichen Risiken verbunden. Bloß: In dieser Lage gibt es keinen Kurs ohne Risiko. Immer mehr erinnert der Verlauf der Debatte an die Euro-Krise. Nur ist die Herausforderung noch viel größer. Merkel versucht erneut, mittels einer ungezählten Zahl kleiner und kleinster Schritte voranzukommen. Das geht nervtötend langsam, ist unendlich mühevoll und von vielen Rückschlägen begleitet. Und es ist sehr unpopulär. Dafür ist es aber auch nicht populistisch. Zugleich scheinen sich neue Chancen zu ergeben. So ist die Kanzlerin dabei, eine neue Brücke zu Griechenland zu schlagen. Wer hätte das letzten Sommer für möglich gehalten? Merkel hält an Hellas fest. Auch das steht im bemerkenswerten Kontrast zu vielen osteuropäischen EU-Staaten, die Griechenland liebend gern fallen ließen. Doch Angela Merkel ficht das nicht. Sie hat sich festgelegt, geht voll ins Risiko. Und in Mainz oder Stuttgart will sie ganz bestimmt nicht über ihr politisches Schicksal entscheiden lassen.
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