Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Wahl in Österreich
Bielefeld (ots)
Wer sich aus bundesdeutscher Sicht die Wahlprogramme und Aussagen der drei großen Parteien in Österreich anschaut, der könnte sich fragen: Warum regen sich bei uns alle so über die AfD auf? Ob man das gut oder schlecht findet - Fakt ist: Bei unseren Nachbarn ist die Politik, was den Einfluss einer rechtspopulistischen Partei angeht, schon viel weiter. Nicht erst seit der Flüchtlingskrise, die Österreich wegen der geografischen Nähe zur Balkanroute auch stark belastet, bestimmt die FPÖ häufig die Debatten. Mit der Folge, dass auch ÖVP und SPÖ diese Themen besetzen und daher aus der Ferne ungleich schärfer wirken als CDU und SPD. Ohne Werner Faymann hätte Angela Merkel am 4. September 2015 ihre Entscheidung, aus humanitären Gründen die deutsche Grenze für Zehntausende in Ungarn gestrandete Flüchtlinge offen zu halten, nicht treffen können. Österreichs SPÖ-Bundeskanzler musste mitmachen, denn Deutschland hat bekanntermaßen keine Grenze zu Ungarn. Faymann machte mit und war im Mai 2016 nicht mehr an der Macht. Daraus haben sein Nachfolger Christian Kern und die SPÖ ihre Schlüsse gezogen: Noch mehr Migration ist auch mit ihnen nicht zu machen. Insofern dürfte der Komplex Einwanderung bei Koalitionsverhandlungen in Wien keine große Hürde sein - in welcher Konstellation auch immer. Während heute ein Bündnis aus ÖVP und FPÖ erwartet wird, war diese Koalition vor mehr als 17 Jahren ein Dammbruch. Anfang 2000 bildeten Wolfgang Schüssel (ÖVP) und FPÖ-Chef Jörg Haider eine schwarz-blaue Regierung auf Augenhöhe. Die Rechtspopulisten hatten sogar 0,01 Prozentpunkte mehr Stimmen als die ÖVP, wählten aber Schüssel zum Bundeskanzler. In Europa sorgte dieser Vorgang für Verwerfungen. Der damalige deutsche Kanzler Gerhard Schröder (SPD) setzte auf EU-Ebene diplomatische Sanktionen gegen den EU-Mitgliedsstaat Österreich durch. Das hat man dort nicht vergessen. Dass die FPÖ an der nächsten Regierung beteiligt sein wird, ist ziemlich wahrscheinlich. Denn eine weitere Große Koalition ist ja gerade das, was die Österreicher mehrheitlich nicht mehr wollen. Da gibt es eine echte Wechselstimmung. Allerdings ist überhaupt nicht ausgemacht, dass die FPÖ nur mit der ÖVP koalieren kann. In Wien heißt es, dass FPÖ-Chef Hans-Christian Strache lieber mit der SPÖ ginge, weil er glaubt, da mehr durchsetzen zu können. Und die SPÖ hat ihren Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der FPÖ längst gekippt. In weiser Voraussicht? Fest steht heute nur: Kurz ist noch kein Kanzler.
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