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Westfalen-Blatt: ein Kommentar zum Versailler Vertrag

Bielefeld (ots)

Ein Friedensvertrag soll Frieden schaffen. Das gelang vor 100 Jahren nicht. Im Gegensatz zum Westfälischen Frieden von 1648 nach dem Dreißigjährigen Krieg und dem Wiener Frieden von 1815 nach den Napoleonischen Kriegen hinterließ der Versailler Vertrag von 1919 keine stabile Ordnung in Europa. Die Siegermächte des Ersten Weltkriegs folgten Frankreich, gaben dem Deutschen Reich die Alleinschuld und verpflichteten die junge Weimarer Republik zu horrenden Reparationszahlungen. Sogar der Papst schaltete sich damals ein. Benedikt XV. bezeichnete den Versailler Vertrag als »rachsüchtiges Diktat«. Wozu der in Deutschland - von Sozialisten bis Monarchisten - so wahrgenommene und genannte »Schmachfrieden« führen würde, konnten die Alliierten natürlich nicht vorhersehen: zu Adolf Hitler. Die Verkürzung der Kausalkette auf »Ohne Versailles kein Zweiter Weltkrieg« mag holzschnittartig sein, aber falsch ist sie nicht. Der große Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler (1931-2014) hat die Phase von 1914 bis 1945 stets als Ganzes betrachtet und von einem »zweiten Dreißigjährigen Krieg« gesprochen. Und auch heute streiten Geschichtswissenschaftler weiter über die Zwangsläufigkeit, die von Versailles zur Nazi-Herrschaft führte. Eckart Conze hält die These der direkten Verbindung für gewagt, weil seiner Ansicht nach die Weimarer Demokratie durchaus eine Chance gehabt hätte. Das sieht Gerd Krumeich ganz anders: »Der Vertrag von Versailles und die Alleinschuldzuweisung blieben den Deutschen auf Dauer unerträglich - und genau das öffnete Hitler die Türen.« 1945 setzten die USA auf den Wiederaufbau Deutschlands statt auf Bestrafung. Eine Lehre aus Versailles war das eher nicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es - anders als 1919 - einen ideologischen und militärischen Feind: den sowjetischen Diktator Josef Stalin. Da mussten die Westmächte relativ nachsichtig mit den Verlierern Deutschland und Japan umgehen. Und was könnten die Erkenntnisse aus dem Versailler Vertrag zum Beispiel für die ausstehende Nachkriegsordnung in Syrien bedeuten? Nichts. Denn so geschichtsvergessen wie heute war Weltpolitik vielleicht noch nie.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Scholz Stephan
Telefon: 0521 585-261
st_scholz@westfalen-blatt.de

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