Westfalen-Blatt: ein Leitartikel zum Solidaritätszuschlag
Bielefeld (ots)
Die Sache mit dem Soli ist kompliziert: Folgt man den Worten des Koalitionsvertrages, so müssten CDU/CSU und SPD mit ihrem Kabinettsbeschluss eigentlich ganz zufrieden sein. Wieder ein Punkt abgehakt auf der To-do-Liste. Sind sie aber nicht, und das hat durchaus seine Gründe. Dass es insbesondere aus den Reihen der Christdemokraten einige Kritik am Entwurf von SPD-Finanzminister Olaf Scholz gibt, liegt an der veränderten Erwartungshaltung. Denn die CDU hatte ja auf dem Hamburger Parteitag im Dezember nicht nur Annegret Kramp-Karrenbauer zur Nachfolgerin von Angela Merkel im Amt der Vorsitzenden gemacht, sondern auch beschlossen, »den Solidarbeitrag bis 2021 vollständig abzuschaffen«. Was die Mittelstandsvereinigung um ihren Vorsitzenden und Paderborner Bundestagsabgeordneten Carsten Linnemann damals zu Recht als eigenen Erfolg feierte, droht sich nun als haltloses Versprechen zu entpuppen. Aber auch die SPD kann sich nicht eines echten Erfolges rühmen. Denn geht man noch ein Stück weiter zurück in die Phase der Koalitionsverhandlungen, so wollten die Sozialdemokraten selbst den Soli abschaffen. Allerdings sollte sein Einnahmevolumen von 20 Milliarden Euro beibehalten werden, indem der Spitzensteuersatz steigt und die Progressionskurve im obersten Bereich entsprechend angepasst wird. Ohne Zweifel wäre ein solches Vorgehen auch jetzt ehrlicher gewesen. Doch davor wiederum war der Schwur von CDU/CSU, wonach es »keine Steuererhöhungen« geben wird. Nun kommt die Reichensteuer durch die Hintertür, und die Alternativpläne von CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier verschwinden sang- und klanglos wieder in der Schublade. Offenkundig fehlt die Kraft für eine Grundsatzdebatte darüber, ob der Staat auskömmlich finanziert ist oder nicht, ob er mithin Steuererhöhungen benötigt oder ob es nicht lange schon an der Zeit für Steuersenkungen gewesen wäre. CDU und SPD sind beide schlicht zu schwach dafür. Folgerichtig wird das Ganze über einen Formelkompromiss kaschiert, den der Bund der Steuerzahler vollkommen zu Recht rügt. Natürlich werden alle diejenigen, die den Soli nach dem Scholz-Plan auch über 2020 hinaus zahlen müssten, deswegen nicht in finanzielle Not geraten. Aber reicht das aus, um über politische Unaufrichtigkeit hinwegzusehen und neue Verzerreffekte in Kauf zu nehmen? Ordnungspolitisch ist dieser Gesetzentwurf ein Offenbarungseid. Und zu befürchten ist, dass die Große Koalition bei der Grundrente mit dem Streitpunkt Bedürftigkeitsprüfung bald einen ähnlich faulen Kompromiss präsentierten wird. Mit Blick auf den Soli bleibt nur die Hoffnung auf die Karlsruher Richter. Deren Anrufung haben FDP und AfD wegen verfassungsrechtlicher Bedenken ja bereits angekündigt.
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