RNZ: Abstauben - Kommentar zur Hitler-Neuauflage
Heidelberg (ots)
Als Propaganda ist "Mein Kampf" in der heutigen Naziszene laut Extremismusforschern praktisch bedeutungslos. Allenfalls in einzelnen Zitaten - oder aber: als Devotionalie mit der Aura des Verbotenen. Dabei war das Buch weder je wirklich verboten noch unzugänglich: In Antiquariaten, Flohmärkten oder auch Opas Nachlass waren reichlich Exemplare zu finden, im Ausland und seit einigen Jahren mit wenigen Klicks im Netz. Spätestens damit war das Verbot einer Neuveröffentlichung sinnlos. Wer den Text unbedingt haben wollte, bekam ihn so oder so. Nur gut, wenn eine kritisch annotierte Version verfügbar ist. Die Tagebücher von Goebbels oder Alfred Rosenberg sind längst in moderner Edition erschienen, auch Hitlers gesammelte Reden. Höchste Zeit, auch sein hetzerisches Hauptwerk nicht länger als Mythos zu behandeln, sondern als wichtige Quelle: Zum Verständnis dessen, wie sich Hitlers wahnhafte Gedankenwelt formte, in welchen Traditionen er stand, aber auch wie früh und klar sich seine Ziele abzeichneten. Laut Schätzungen kannte 1945 ein Fünftel der Deutschen zumindest Auszüge. Die Behauptung, der Bestseller sei ungelesen im Regal verstaubt, war auch eine Schutzbehauptung. Zeit abzustauben.
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