Druckfrisch - Neue Bücher mit Denis Scheck Am Sonntag, 3. April 2016, um 23:35 Uhr
München (ots)
Alkohol, Sex und Verbrechen: Heinz Strunk trinkt mit Fritz Honka im 'Goldenen Handschuh' Dies ist nun wirklich kein lustiges Buch. Es ist die Geschichte eines Frauenmörders, eines geprügelten, alkoholkranken, verwahrlosten Mannes, der seine Nächte in einer Hamburger Säuferkneipe zubringt, in Gesellschaft von Luden, Kleinkriminellen und Gelegenheitsprostituierten, und der in den Winkeln einer stinkenden Wohnung die Reste seiner Opfer aufbewahrt. Es ist die Geschichte von Fritz Honka. Und diese Geschichte ist wahr. Fritz Honka gab es wirklich, er brachte Anfang der 70er-Jahre in Hamburg-Altona vier Frauen um, und Heinz Strunk hat sein trauriges Leben aufgeschrieben. "Die Frau, die reinkommt, zittert vor Kälte und ist ziemlich klein. Wie dreckiger Rasierschaum ergießt sich graues, dünnes Haar über die Rückseite ihres eulenartigen Schädels. Die Kopfhaut ist an mehreren Stellen kahl. Sie steht da wie abgeschaltet, den Blick ins Leere gerichtet, vereist und ausdruckslos. Sie könnte fünfzig sein oder siebzig. Wie Soldaten-Norbert hat sie auch diesen eigentümlichen Gesichtsausdruck der Kriegsgeneration: uralt. Ein unbestimmbares, vorsintflutliches Alter. (...) Man vermag sich schon nicht mehr vorzustellen, wie die früher mal ausgesehen hat, als Frau." Heinz Strunk hat Honkas Leben gründlich recherchiert, hat bisher unter Verschluss befindliche Prozessakten eingesehen, im 'Goldenen Handschuh', Honkas Lieblingskneipe, die es immer noch gibt, mit den Pennern Fako gesoffen, Fanta mit Korn. Deshalb ist sein Buch so bestürzend realistisch. Strunk zeichnet Honka, den Täter, und seine Opfer, die Frauen, illusionslos genau, als vergessene Gespenster der Bundesrepublik, die am Rand des Todes durch schimmlige Kammern torkeln. Das so großartige wie wirklich verstörende an diesem Buch aber ist, dass wir beim Lesen die ganze Zeit das Gefühl nicht los werden, das alles hätte doch auch etwas mit uns und unserem Leben heute zu tun. Heinz Strunk, 1962 in Hamburg geboren, heißt eigentlich Mathias Halfpape und wurde zuerst als Musiker und Schauspieler bekannt, 2004 mit dem Titel 'Fleisch ist mein Gemüse' auch als Autor.
Die Tochter ist die Mutter: Anna Katharina Hahn über Liebe in Zeiten der Krise Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss, heißt es, und alles wird gut, hören wir auch, aber den meisten dämmert langsam, dass es in Wirklichkeit ganz anders ist. Die Krise ist da, und sie geht nicht wieder weg. Das haben die Leute in Griechenland oder, zum Beispiel, in Spanien schon längst lernen müssen. Wie sie dort damit umgehen, im Alltag, in der Liebe, davon erzählt Anna Katharina Hahn am Beispiel von Ana Maria, genannt Anita, die in Madrid wohnt, und deren Leben im Sommer 2012 eine dramatische Wendung nimmt. "In der Wohnung rührte sich nichts. Ich öffnete vorsichtig die Schlafzimmertür und steckte den Kopf durch den Spalt. In der Mitte des Bettes lag ein weißer Haufen. Meine Eltern schienen immer noch zu schlafen, und ich wollte sie nicht wecken. Der Geruch im Zimmer hatte sich verändert. Der Jasminduft war verschwunden, stattdessen roch es sauer und stickig. Ich sah die Wasser- und Teegläser unberührt auf dem Nachttisch, die Flüssigkeiten schimmerten silberweiß und tiefgolden im faden Dämmerlicht. Leise schloss ich die Tür und ging in die Küche." Plötzlich sind also auch noch die Eltern tot. Aber das ist in diesem Fall wohl eher eine gute Nachricht. Es setzt nämlich eine phantastische Entwicklung in Gang: Anita wird zu Blanca, die Tochter zur Mutter, ein unheimlicher, geheimnisvoller Schriftsteller kommt ins Spiel, und letztlich wird alles doch ganz anders. In sehr einfacher, undramatischer Sprache entwickelt Anna Katharina Hahn so aus einer Erzählung des Alltags in Madrid ein großes europäisches Tableau, ein romantisches Welttheater, und wir lernen: Das Leben gibt es, aber nur jetzt! Anna Katharina Hahn, geboren 1970, lebt in Stuttgart. Ihr Roman 'Am Schwarzen Berg' stand 2012 auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse.
Und wie immer: Denis Schecks Kommentar zu den Büchern auf der aktuellen Spiegel-Bestsellerliste (diesmal Belletristik) und eine ganz persönliche Empfehlung: Joseph Fink, Jeffrey Cranor: Willkommen in Night Vale.
Moderation: Denis Scheck; Realisation: Andreas Ammer. Redaktion: Susanne Schettler (WDR), Christoph Bungartz (NDR), Armin Kratzert (BR) und Matthias Morgenthaler (MDR).
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