22. März: Tag der Kriminalitätsopfer
"Blauer Brief" aus Brüssel für
deutschen Opferschutz?
Mainz (ots)
Weißer Ring fordert von Politik und Justiz stärkere Beachtung der europäischen Opferschutz-Initiative / Bürger-Engagement setzt Zeichen
Der Weiße Ring hat die zögerliche Reaktion von Politik und Justiz auf die europäische Opferschutz-Initiative kritisiert. Zum diesjährigen Tages der Kriminalitätsopfer am 22. März hätten bereits einige der im vergangenen Jahr vom Rat der Europäischen Union eingeforderten Opferschutz-Kriterien erfüllt sein müssen.
Dazu zählen u.a. die Gewährleistung von Information der Geschädigten darüber, wann, wie und wo sie staatliche Unterstützung erhalten können. Insbesondere die Strafverfolgungsbehörden sind aufgefordert, Opfer von Kriminalität und Gewalt in allgemein verständlichen Sprachen über ihre Rechte und Ansprüche zu informieren. Gerade in Bezug auf die seit langem gesetzlich verankerten Opferentschädigungsansprüche geschehe dies nach Erfahrung des Weißen Rings oft gar nicht oder nur unzureichend. So stellten nach Erkenntnissen des Weißen Rings jährlich noch keine 11 Prozent aller Gewaltopfer meist aus Unwissenheit einen Antrag beim Versorgungsamt oder anderen Behörden. Die 2.300 ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen in bundesweit 400 Anlaufstellen des Weißen Rings seien oft die ersten Menschen, die Betroffene auf ihre Ansprüche aufmerksam machten und für deren Rechte kämpften.
Der Weiße Ring fordert seit langem entsprechende Hinweise zum Opferentschädigungsgesetz im polizeilichen Anzeige-Formular. "Dass diese einfache und praktikable Handreichung des Staates an die Opfer von Kriminalität und Gewalt bis heute nicht bundesweit erfolgt ist, zeugt trotz aller sonstigen Bemühungen von fehlender Entschlusskraft der politisch verantwortlichen Minister", so der Sprecher des Weißen Rings, Helmut K. Rüster.
Opfer haben Anspruch auf Schadenswiedergutmachung im Strafverfahren
Ebenso halbherzig kümmerten sich Politik und Justiz um die Forderung des Rates der Europäischen Union, bereits im Strafverfahren Schadenswiedergutmachung für Opfer zu gewährleisten. Dies könne nach Ansicht des Weißen Rings durch verstärkte Anwendung des sogenannten Adhäsionsverfahrens geschehen. Aufgrund nach wie vor unzureichender gesetzlicher Regelungen sei jedoch die Bereitschaft der Richter hierzu kaum vorhanden.
Der Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union (www.weisser-ring.de) verpflichtet die Mitgliedstaaten zu konkreten Schutzmaßnahmen für Opfer vor, während und nach dem Strafverfahren, um insbesondere der Gefahr einer Sekundär-Viktimisierung vorzubeugen. Dazu zählen u.a. der Schutz eines Opferzeugen vor Repressalien des Täters, z.B. durch Androhung von Racheakten. Ebenso Maßnahmen zur Vermeidung direkter Begegnungen zwischen Opfer und Beschuldigten an den Gerichtsorten. Der Weiße Ring bemängelt die fehlende Zahl von Zeugenbetreuungszimmern, auch fehlten vielerorts technische Voraussetzungen, um schwer betroffenen Opfern durch die Videovernehmung zusätzliche Belastungen im Strafprozess zu ersparen.
Opferzeugen haben Anspruch auf Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte
Bis zum 22. März 2004 soll Opfern unentgeltliche Beratung über ihre Rolle im Strafverfahren ermöglicht werden sowie ggf. die Kostenübernahme eines Rechtsbeistandes gewährleistet sein. Ein erster Schritt hierzu erfolgte bereits durch die Einführung des vom Weißen Ring lange geforderten Opferanwaltes auf Staatskosten. Beantragt werden kann dieser wichtige Rechtsbeistand allerdings nur bei bestimmten schweren Straftaten wie z. B. Sexualdelikten oder versuchten Tötungsdelikten.
Der Weiße Ring fordert die Ausweitung dieses notwendigen Persönlichkeitsschutzes schwer betroffener Opfer auch auf weitere Deliktsbereiche. "Es ist nicht nachvollziehbar, warum z. B. ein Opfer schwerster Misshandlungen oder einer Entführung weiter um seinen Schutz über den Weg der Prozesskostenhilfe betteln soll, obwohl es beim Strafprozess erneut erheblichen psychischen Belastungen ausgesetzt ist. Gleiches gilt für die Eltern ermordeter Kinder. Hier besteht dringender politischer Handlungsbedarf", so WR-Sprecher Helmut K. Rüster.
Privates Opferhilfe-Engagement soll gestärkt werden
Besondere Bedeutung legt der Rat der Europäischen Union auf Anerkennung und Finanzierung nichtstaatlicher Opferhilfseinrichtungen wie dem Weißen Ring und seiner vielschichtigen Unterstützung für die Geschädigten. In Deutschland sollen nach einer Gesetzesinitiative des Bundesjustizministeriums zur Reform des Sanktionen-Rechts künftig zehn Prozent aller Geldstrafen unmittelbar in die praktische Opferarbeit fließen. Empfänger sind gemeinnützige Einrichtungen, deren Zweck die Hilfe von Opfern von Straftaten ist. Für den Weissen Ring mit seiner 25jährigen Erfahrung in der direkten Opferbetreuung und einem flächendeckenden Hilfsnetz bieten sich dadurch noch intensivere Unterstützungsmöglichkeiten.
Weißer Ring warnt vor Zersplitterung des Opferschutzgedankens
Politik, Justiz und Verwaltung haben noch nicht überall erkannt, dass nur im Zusammenspiel zwischen gesetzlich verankerten Opferschutzbestimmungen und dem Einsatz engagierter Bürgerinnen und Bürger praktische Lebenshilfe für Opfer und ihre Familien gewährleistet werden kann. Wenn für Aufbau und Erhalt kostenaufwendiger behördlicher Einrichtungen staatliche Mittel bereitgestellt werden, statt diese über bestehende und bewährte private Hilfsorganisationen den Opfern unmittelbar zukommen zu lassen, wird das Subsidiaritätsprinzip eines kooperativen Sozialstaates in Frage gestellt.
Der Weiße Ring begrüßt die europäische Opferschutz-Initiative ausdrücklich. Im Zusammenwirken mit den im Europäischen Opferforum zusammengeschlossenen Opferhilfs-Organisationen wird er die Verbesserung von Opferrechten konstruktiv begleiten, fordert aber zugleich konsequente Schritte zur Einhaltung vorgegebener Fristen.
Nicht dem Täter, sondern dem Opfer gehört die zentrale Stellung in strafrechtlichen, sozialrechtlichen und zivilrechtlichen Verfahren. Politik, Justiz, Verwaltung und Wissenschaft haben sich dieser Aufgabe zu stellen.
(Langfassung dieses Medieninfos unter www.weisser-ring.de)
- Der Weiße Ring / Daten-Zahlen-Fakten
Hilft seit 1976 als gemeinnütziger Verein Kriminalitätsopfern und ihren Familien: Schnell, unbürokratisch und kostenlos, u.a. durch menschlichen Beistand, persönliche Betreuung, Hilfestellung im Umgang mit Behörden, Begleitung zu Gerichtsterminen, Gewährung von Rechtsschutz, Erholungsmaßnahmen, Vermittlung von Hilfen anderer Organisationen sowie finanziellen Zuwendungen bei tatbedingten Notlagen.
Zählt rd. 300.000 Förderer und Mitglieder, unterhält bundesweit 400 Außenstellen mit rd. 2.300 ehrenamtlichen Helfer/innen.
Unterstützt die Kriminalitätsvorbeugung, begleitet Projekte der Schadenswiedergutmachung und des Täter-Opfer-Ausgleichs, setzt sich öffentlich für Opferbelange ein.
Erhält die Mittel für seine Opferarbeit durch Spenden, Zuweisungen von Geldbußen, Nachlässe und Erbschaften sowie Mitgliedsbeiträge (monatlich ab 2,50 EUR für Einzelpersonen, 3,75 EUR für Ehepaare, 1,25 EUR für Jugendliche).
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- Der Tag der Kriminalitätsopfer erinnert am 22. März jeden Jahres an die Situation der durch Kriminalität und Gewalt geschädigten Menschen, die auf Schutz, praktische Hilfe und Solidarität unseres Gemeinwesens angewiesen sind. Der Weiße Ring stärkt mit diesem Signal seit mehr als zehn Jahren das öffentliche Bewusstsein und fordert Politik, Justiz und Verwaltung zum Handeln auf. Dabei kann er auf dankenswerte Unterstützung der Medien und anderer gesellschaftlichen Kräfte zählen, denen das Schicksal in Not geratener Kriminalitätsopfer nicht einerlei ist. Inzwischen ist dieser Tag für viele Menschen zu einem weithin sichtbaren Zeichen gesellschaftlicher Verantwortung geworden.
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