Haben wir uns an die Gewalt in der Schule gewöhnt?" Zwölf Thesen des Weißen Rings zum Opferschutz in den Schulen
Mainz (ots)
Immer wieder berichten die Medien über Gewalttaten in Schulen: Über Körperverletzungen, Schutzgelderpressungen, "Abziehen" bzw. Raubtaten. So kam es z. B. vor rund 14 Tagen zu einer Messerstecherei in einer hannoverschen Realschule, bei der ein Jugendlicher schwer verletzt wurde.
Auf das Massaker von Erfurt am 26. April vorigen Jahres reagierte der Gesetzgeber mit einer Verschärfung des Waffenrechts und einer Verbesserung des Jugendmedienschutzes. Darüber hinaus haben die Regierungschefs der Bundesländer am 26. Juni 2003 in Berlin beschlossen, ein Präventionsprogramm zu entwickeln, das "die Erziehungskraft von Schulen erhöht und die Werteorientierung bei Kindern und Jugendlichen fördert". Der Weiße Ring begrüßt diese Initiativen, die jedoch nicht wie andere zuvor nach einer Betroffenheitsphase wieder im Sande verlaufen dürfen.
Prof. Dr. Hans-Dieter Schwind, Kriminologe und Vorsitzender des Fachbeirates Vorbeugung im Weißen Ring: "Wir dürfen uns an die Gewalt in der Schule nicht gewöhnen; sonst verstärkt sich aus der Schule heraus die Gewaltwelle, die bereits als Straßengewalt die außerschulischen Bereiche erfasst hat. Dort hat sich z. B. die Zahl der Raubtaten, die Jugendliche verüben, in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt."
Im Vorfeld des diesjährigen Mainzer Opferforums des Weißen Rings am 1./2. November zur Thematik "Gewaltprävention in der Schule: Grundlagen, Praxismodelle, Perspektiven" hat der Fachbeirat ein opferorientiertes Thesenpapier verabschiedet, das sich mit dem Gewaltphänomen im schulischen Bereich auseinander setzt.
These 1: Wir brauchen kleinere Schulen und kleinere Klassen, damit sich die Lehrerschaft in übersichtlichen Schulen wieder mehr um Problemkinder kümmern kann - maximal 20 Kinder pro Klasse.
These 2: Lehrkräfte müssen in ihrer Aus- und Fortbildung mit Gewaltpräventionsprogrammen vertraut gemacht werden.
These 3: Die Schulsozialarbeit sollte ausgebaut und die schulpsychologischen Beratungssysteme (z.B. Schulpsychologe) mit den entscheidenden außerschulischen Einrichtungen vernetzt werden.
These 4: Lehrkräfte, die zur Pausenaufsicht eingeteilt sind, dürfen nicht wegsehen, wenn sich Gewalt zeigt: Der aktuelle Anlass muss jeweils zum Thema der nächsten Unterrichtsstunde gemacht werden. Im Durchschnitt der Schulen fürchtet sich jeder dritte Schüler in der Pause, auf den Schulhof zu gehen. Betroffen sind vor allem Haupt- und Realschulen.
These 5: An Brennpunktschulen sollte die Monitor-Überwachung des Schulhofes, sofern die schulischen Gremien dies fordern, nicht mehr tabu sein.
These 6: Da sich nach neueren Untersuchungen mehr als 30 Prozent der Schülerinnen und Schüler schon auf dem Weg zur Schule in überfüllten Bussen und Bahnen vor Gewalt fürchten, sollten nach ausländischem Beispiel spezielle Bahn- und Busbegleiter eingesetzt werden.
These 7: "Anstand und Benehmen" auf die Stundentafel zu setzen, wie das Saarland das will, ist ein Ansatz, der unterstützt wird. Pünktlichkeit, Achtung vor dem Nächsten, Ausreden lassen sowie weitere Umgangsformen gehören dazu. Allerdings ist dabei das Vorbildverhalten von Eltern und Lehrern unverzichtbar.
These 8: Hinsichtlich des Sports sollte entwicklungspsychologischen Erfordernissen im Lehrplan mehr Beachtung geschenkt werden: Mehr Sportstunden für Jungen zwischen 13 und 16 Jahren, die in besonderem Maße zu aggressivem Verhalten neigen.
These 9: Rückfällige Schulstörer und Gewalttäter, die oft zu den Leistungsversagern gehören, sollten nach französischem Vorbild im Rahmen der Schulpflicht in handwerklich ausgerichteten "Schnupperwerkstätten" eine Chance erhalten, in denen u. a. Leistungs- und Durchhaltevermögen gefördert werden und Erfolgserlebnisse wahrscheinlicher sind.
These 10: Schulschwänzerprogramme sind ein Weg, Schüler von der Straße zu holen und zu vermeiden, dass sie sich ohne Schulausbildung zu "No-Future-Kids" entwickeln und kriminell werden.
These 11: Besondere Anstrengungen verlangt die schulische Integration jugendlicher Ausländer. Die Bemühungen mancher Bundesländer, den Schulbesuch von Sprachkenntnissen abhängig zu machen, ist der richtige Weg. Notwendige Vorraussetzung dafür ist die Förderung im vor- und außerschulischen Bereich.
These 12: Der Erfolg aller Eigenaktivitäten der Schulen, die dem Opferschutz dienen, hängt nicht zuletzt von der Unterstützung durch die Elternschaft ab, denn Gewaltprävention muss in der Familie beginnen. Welche Schulprogramme (etwa Konfliktlotsen) effektiv sind, wird am 1./2. November 2003 auf dem Opferforum des Weißen Rings in Mainz diskutiert.
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