Trotz Ächtung: US-Streumunition in Deutschland - Recherche von Panorama und STRG_F
Hamburg (ots)
Die US-Armee lagert in ihrem Munitionsdepot in Miesau (Rheinland-Pfalz) Streumunition, die von Deutschland gemäß des sogenannten Oslo-Abkommens vertraglich geächtet ist. Die US-Armee liefert die Streumunition von dort an die Ukraine. Dies belegen schriftliche Auskünfte der US-Armee an das ARD-Magazin "Panorama" (NDR) und "STRG_F" (NDR/Funk). Damit könnte Deutschland gegen das sogenannte Oslo-Abkommen zur Ächtung von Streumunition verstoßen, das auch die Lagerung und den Transport solcher Munition in Deutschland verbietet.
Verteidigungsminister Boris Pistorius erklärt auf Nachfrage von Panorama und STRG_F, nichts von Lagerung und Transport der US-Streumunition zu wissen: "Also erstens weiß ich das nicht, woher geliefert wird, und zweitens würde ich es auch nicht kommentieren." Auch auf eine entsprechende Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen (BSW) schreibt die Bundesregierung: "Der Bundesregierung liegen keine eigenen Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor."
An dieser Darstellung gibt es jetzt allerdings Zweifel: Ein Sprecher der US-Armee für Europa und Afrika bestätigt gegenüber Panorama und STRG_F schriftlich, dass Streumunition vom Typ M864 und M483A1 derzeit in Miesau lagert und von dort im Rahmen der Militärhilfe für die Ukraine weiter verschickt wird. Zudem schreibt der Sprecher: "Die Movement Control Teams der US-Armee koordinieren alle Munitionsbewegungen mit dem Deutschen National Movement Control Center". Auf Nachfrage, ob das auch für die Streumunition M864 und M483A1 gilt und diese ebenfalls mit dem National Movement Control Center (NMCC) koordiniert wird, antwortete der Sprecher: "All munitions" means "all munitions". Das NMCC ist Teil des Logistikzentrums der Bundeswehr in Wilhelmshaven.
Unklar ist, ob die Bundeswehr dadurch Kenntnis über Streumunitionstransporte hat. Das Verteidigungsministerium erklärt, man erhalte nur eine "eher grobe Klassifizierung - ein Rückschluss auf spezifische Munitionssorten kann daraus nicht gezogen werden", und weiter: "Es ist also richtig, dass die US-Streitkräfte alle Munitionstransporte durch/nach Deutschland anmelden, die Bundeswehr aber keine Kenntnisse über einzelne Munitionssorten hat." Dagegen antwortet der Sprecher der US-Armee auf die Frage, ob das NMCC mitgeteilt bekommen, welche spezifische Munition transportiert wird, das NMCC erhalte "eine Dokumentation des Inhalts der Ladungen".
Sollte die Bundesregierung doch über die Lagerung von US-Streumunition sowie den Transport innerhalb Deutschlands Bescheid wissen, könnte das ein Verstoß gegen völkerrechtliche Vereinbarungen sein. Denn die Bundesregierung hat 2008 - anders als die USA - das Oslo-Abkommen zum Verbot von Streumunition unterzeichnet, das auch Lagerung und Transport solcher Munition in Deutschland verbietet. Zudem heißt es in der von Deutschland unterschriebenen Konvention auch: "Jeder Vertragsstaat (...) bemüht sich nach besten Kräften, Staaten, die nicht Vertragsparteien dieses Übereinkommens sind, vom Einsatz von Streumunition abzubringen". Ein solches Bemühen seitens Deutschlands gegenüber den USA in Zusammenhang mit den Ukraine-Lieferungen ist nicht bekannt.
Seine Verpflichtungen aus dem Oslo-Übereinkommen setzte Deutschland 2009 im Kriegswaffenkontrollgesetz um. Demzufolge ist es verboten, Streumunition "einzuführen, auszuführen, durch das Bundesgebiet durchzuführen". Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat im August 2023 prüfen lassen, was die US-Lieferungen an die Ukraine für Deutschland bedeuten, und kommt zu dem Schluss, dass "mit Blick auf den Transport von Streumunition über deutsches Territorium (Transit)" ein Verbot im Kriegswaffenkontrollgesetz gelte. Das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes wendete damals noch ein, dass es fraglich sei, ob die USA deutsche Behörden über den Transport aufklären würden. Eine völkerrechtliche Verpflichtung dazu haben die USA nicht, weil sie - wie auch die Ukraine und Russland - das Oslo-Abkommen nicht unterschrieben haben. Laut den Aussagen der US-Armee gegenüber Panorama und STRG_F war das aber der Fall.
Die "Cluster Munition Coalition", ein internationales Bündnis von Menschenrechtsorganisationen, Vereinigungen und Initiativen gegen Streumunition, erklärt auf Anfrage, die Transporte könnten als Verstoß gegen die Konvention interpretiert werden: "Die Cluster Munition Coalition hofft aufrichtig, dass Deutschland als überzeugter Unterstützer des Oslo-Vertrags den Transit von US-Lagerbeständen durch sein Hoheitsgebiet nicht zulassen wird", man erwarte von Deutschland, dass "es seine Verpflichtungen aus der Konvention gemäß diesen Erklärungen einhält."
Sevim Dagdelen, außenpolitische Sprecherin der BSW-Gruppe im Bundestag und Obfrau im Auswärtigen Ausschuss, erklärt dazu: "Die Bundesregierung kommt ihrer Verpflichtung gemäß des Oslo-Übereinkommens zur Ächtung von Streumunition in Deutschland ganz offensichtlich nicht nach. Diese Politik aus vermeintlicher Ahnungslosigkeit und Nicht-Wissen-Wollen zeugt von mangelnder demokratischer Souveränität und Vasallentum gegenüber den USA."
Streumunition ist wegen ihrer unberechenbaren und grausamen Folgen für Zivilisten geächtet. Ihre Hülle öffnet sich und setzt viele tödliche Sprengkörper frei, die sogenannte Submunition. Diese Mini-Bomben treffen wahllos und sind dadurch besonders auch für Zivilisten gefährlich. Bis heute liegt nicht explodierte Munition in der Erde und kann bei Kontakt töten. Laut Handicap International wurden von den 1960ern bis 2022 knapp 25.000 zivile Opfer von Streumunition registriert.
2008 hatte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier die von 112 Staaten ratifizierte und umgesetzte Oslo-Konvention als "Meilenstein" bezeichnet. Deutschland hatte sich als Gründungsmitglied aktiv für die Ächtung von Streumunition eingesetzt und 2023 laut Auswärtigem Amt 48,8 Millionen Euro für Opferhilfe und Minen-Räumungen bereitgestellt. Das Auswärtige Amt schreibt dazu auf seiner Website: "Deutschland wird dabei als einer der weltweit größten und verlässlichsten Geldgeber seiner Rolle bei der Umsetzung des Oslo-Übereinkommens gerecht." Das steht nun in Frage.
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