Skandal um Handel mit Intensivpflegepatienten "Report Mainz", heute, 21. August 2012, 21.45 Uhr im Ersten
Mainz (ots)
Nach Informationen des ARD-Politikmagazins "Report Mainz" werden Intensivpflegepatienten im häuslichen Bereich in einer Preisspanne von 40 bis 60.000 Euro zwischen Pflegediensten gehandelt. In einem verdeckt gedrehten Verkaufsgespräch hat ein Pflegedienst dem Magazin fünf Patienten zum Preis von 250.000 Euro zum Kauf angeboten. Die dazu gehörenden Pflegeteams können auch übernommen werden. Der Inhaber des Dienstes betonte, dass derzeit keiner der zu verkaufenden Patienten "im Sterben" liege. Gegenüber dem ARD-Politikmagazin sagte er weiter, dass der Käufer mit seinen Patienten in den nächsten Jahren viel Geld verdienen könne und erklärt dieses exemplarisch an einem Beispiel: "Eine Frau ist 1962 geboren und wenn sie gut betreut wird, kann sie zehn, 20 Jahre leben." Da die Kassen für diese Patientin, die rund um die Uhr betreut werde, gute Verrechnungssätze zahle, könne der Käufer mit Profiten von über 4.000 Euro pro Monat nur für diese eine Patientin rechnen.
"Report Mainz" hat die Recherchen den Gesundheitspolitikern Karl Lauterbach (SPD) und dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU), vorgelegt. "Solche Vorgänge waren mir bislang nicht bekannt", sagte Lauterbach im Gespräch mit dem Politikmagazin. Auch Wolfgang Zöller kommt zu einer ähnlichen Einschätzung: "Da wird Ethik und Monetik wohl verwechselt. Es ist ganz schlimm, wenn gerade mit Patienten, einem sehr sensiblen Bereich von Patienten, die ja rund um die Uhr betreut werden müssen, wenn mit denen so Geschäfte gemacht werden, ist für mich nicht nachvollziehbar." Für Zöller ist ein solcher Verkauf "unethisch" und "unmoralisch".
Desweiteren liegen dem Politikmagazin Verträge zwischen zwei Pflegediensten, inklusive der Patientenlisten, aus diesem Jahr vor. Darin geht es um über 30 Patienten. Im Vertrag wurde ein Preis von 40.000 Euro pro Patient kalkuliert, wenn die Übernahme erfolgreich ist. Die dazu gehörenden Pflegeteams konnten übernommen werden. 20.000 Euro sollten dazukommen, wenn der Patient mindestens zwei Monate beim neuen Pflegedienst bleibt.
Die Vereinbarung zwischen den zwei Pflegediensten wurde zwar als "Unternehmenskaufvertrag über einen Teilbetrieb" deklariert, in Wahrheit aber sei es vor allem um Patienten und deren Rendite gegangen. Das sagt der ehemalige Geschäftsführer des Pflegedienstes, Meiko Spitzenberger, der damals den Kaufvertrag mitunterzeichnete. "Wenn ich eine Firma veräußere, veräußere ich eine komplette Firma, mit all ihren Risiken, mit all ihren Gefahren, die sich hinter so einem Verkauf verbergen. Hier wird nur der Geschäftsinhalt verkauft, der Patient als Renditeobjekt", so Spitzenberger im "Report Mainz"-Interview. Tatsächlich hat der kaufende Pflegedienst keineswegs alle Patienten des Verkäufers übernommen. In einer E-Mail vom Februar 2012, kurz vor Vertragsabschluss, eliminiert dieser kurzerhand zwei Patienten, weil sie ihm offensichtlich nicht lukrativ genug erschienen. Dieses Schreiben liegt "Report Mainz" vor. Darin heißt es: "Bei dem Umsatz der beiden Patienten können wir einen derartigen Kaufpreis natürlich nicht darstellen." Auf "Report Mainz"-Nachfrage räumt der Käufer die zwei Fälle ein, die E-Mail sei aber aus dem Zusammenhang gerissen. Man habe sich "bereit gezeigt, jeden Patienten zu übernehmen", auch diejenigen, die "nicht kostendeckend versorgt werden" können. Bei den beiden abgelehnten Patienten handele es sich um "komplexere Geschichten", also Spezialfälle.
"So wie mir die Informationen jetzt gezeigt werden: Das ist wirklich Menschenhandel mit besonders sensiblen Patienten", sagte Wolfgang Zöller gegenüber "Report Mainz". Karl Lauterbach ergänzt: "Auf mich macht das Gesamte den Eindruck eines verdeckten Menschenhandels. Ich bin überrascht und auch schockiert."
Die Oberärztin Simone Rosseau von der Berliner Charité, gleichzeitig im Vorstand einer der wichtigsten Fachgesellschaften für außerklinische Beatmung, sieht durch solche Geschäfte eine große Gefahr für beatmete Intensivpatienten. "In letzter Konsequenz bedeutet das, dass die Patienten nicht die Behandlung bekommen, die sie eigentlich bedürfen, weil sie dann nicht mehr so viel Geld einbringen. Das wäre der Fall, wenn ein Patient von der Beatmung entwöhnt wird", sagte Rosseau gegenüber dem ARD-Politikmagazin. Auf Nachfrage, ob Patienten daher teilweise länger krank blieben, als sie müssten, antwortete sie: "Sie werden länger beatmet als sie müssten, oder wenn sie an Patienten denken, bei denen vielleicht ein Sterbeprozess begonnen hat, die in ihrer letzten Lebensphase sind, kann auch heißen, am Leben halten um jeden Preis, weil ein Beatmungspatient Geld bringen muss".
Zahlen darüber, wie viele Intensivpflegepatienten/Beatmungspatienten es im häuslichen Bereich gibt, liegen den Krankenkassen nicht vor, erklärt der GKV Spitzenverband auf "Report Mainz"-Nachfrage. Genau das sei aber für eine optimale Versorgung von Beatmungspatienten wichtig: "Die Patienten sind nicht nur extrem teuer auch für die Solidargemeinschaft, sondern es sind auch sehr kranke Patienten, die eine vernünftige Betreuung brauchen. Insofern wäre es schon in dieser Hinsicht ganz wichtig, Patientenzahlen zu kennen", sagte Rosseau im "Report Mainz"-Interview.
Weitere Informationen finden Sie unter www.swr.de/report. Zitate gegen Quellenangabe frei. Fragen bitte an "Report Mainz", Tel.: 06131/929-33351.
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