Nach Video-Aufruf zum Heiligen Krieg: Schwester des deutschen Islamisten Eric Breininger im ZDF-Interview
Mainz (ots)
Anke Breininger, Schwester des Terrorverdächtigen Eric Breininger aus dem Saarland, hat dem ZDF ein Interview gegeben, in dem sie Verlauf und Hintergrund der Radikalisierung ihres Bruders im Jahr 2007 erläutert. Aus dem sehr lebenslustigen Jungen, der immer mit Freunden unterwegs gewesen sei und viel Sport getrieben habe, sei unter dem Einfluss eines islamistischen Freundes ein extrem religiöser Mann geworden. Er habe seinen Lebensstil radikal verändert und sei zum Sprachstudium nach Ägypten gezogen.
Im April dieses Jahres meldete sich Eric Breininger per E-Mail aus dem pakistanischen Peschawar. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden hat er in einem Ausbildungslager der terroristischen IJU (Islamische Jihad Union) trainiert. In den vergangenen Tagen waren wiederholt Videos der IJU im Internet aufgetaucht, die darauf schließen lassen, dass sich der junge Saarländer als Attentäter oder Kämpfer am sogenannten heiligen Krieg in Afghanistan beteiligen will.
Anbei Auszüge aus dem Interview mit Anke Breininger, das in Teilen in einem Beitrag des "heute journals" am Freitag, 9. Mai 2008, 22.00 Uhr ausgestrahlt wird. Der Text ist mit Quellenangabe zur Verwendung frei.
Wenn Sie so Ihren Bruder sehen und reden hören, was empfinden Sie dabei?
"Man kann das eigentlich gar nicht glauben, dass er das ist. Man erkennt ihn da eigentlich nicht wieder. Man sieht sein Gesicht, man sieht den Körper, man weiß, er ist es, er sieht so aus. Er redet so, aber diese Worte, die er von sich gibt, die passen nicht zu ihm. Seine Haltung, das passt alles einfach nicht, also man hat irgendwie das Gefühl, da ist ein Mensch, den man kennt, der vertraut ist und man hat gleichzeitig wieder das Gefühl, hier ist eine ganz fremde Person, die man überhaupt gar nicht kennt."
Sie schauen sich diese Videos jetzt in den letzten Tagen ja an. Wie groß ist die Angst, dass wenn sie drauf klicken, das Märtyrer-Video da ist.
"Also diese Angst ist immer sehr groß. Immer, wenn man das Internet anmacht und man sieht irgendwo, dass eine neue Schlagzeile da ist, ist die Angst immer da, dass es jetzt eine Schlagzeile ist, in der steht '....hat sich heute morgen in die Luft gesprengt' oder '...ist heute morgen das und das passiert'. Man hat also wirklich sehr viel Angst. Man ist eigentlich um jeden Tag froh, an dem nichts passiert ist."
Können Sie sich überhaupt vorstellen, dass er die Entschlossenheit entwickelt, einen Menschen zu verletzen und zu töten?
"Ich kann es mir eigentlich von sich aus nicht vorstellen, dass er so weit gehen würde, dass er einen Menschen wirklich umbringen würde. Allerdings wenn man sich die Entwicklung anschaut, die er im letzten Jahr genommen hat, ist es natürlich nicht auszuschließen, dass er mittlerweile so weit ist, dass er sagt, ich würde es machen. Ich hoffe, dass er irgendwo noch ein bisschen Vernunft in sich hat und sich sagt 'Nee, das kann ich nicht machen!'."
Wie war er damals als Jugendlicher? Sie sind ja mit ihm zusammen aufgewachsen?
"Ich kenne ihn als sehr aufgeweckten, sehr lebenslustigen Jugendlichen, der immer unterwegs war, immer Freunde bei sich hatte. Dann ist er Fußball spielen gegangen. Dann hat er sehr viel Sport gemacht, dann hat er Basketball gespielt, dann ist er Inliner gefahren, dann ist er mit seinem Fahrrad unterwegs gewesen. Im Sommer war er ständig mit seinen Freunden im Schwimmbad. Er war nie ein Kind, das zu Hause gesessen hätte oder irgendwo ruhig gesessen hätte. Er brauchte immer Bewegung, immer Freunde um sich herum, Hauptsache immer irgendwo hin, Fußballspielen, Schwimmen gehen. Sehr aufgeweckt und sehr lebenslustig."
Wann hat sich aus Ihrer Sicht eine Veränderung bei ihm gezeigt?
"Also, die erste kleinere Veränderung hat sich Anfang 2007 gezeigt. Er hat sich Anfang 2007 vermehrt für den Koran und den Islam interessiert, was ein bisschen ungewöhnlich war, weil er vorher jahrelang ausländische Freunde hatte, auch muslimische Freunde, und sich nie dafür interessiert hat. Auf einmal hat er dann angefangen, sich dafür zu interessieren. Er wollte den Koran haben, er wollte den Koran lesen können. Er hat dann begonnen, kein Schweinefleisch mehr zu essen. Er ist morgens früh aufgestanden, um zu beten. Er hat sich nicht mehr zurecht gemacht, also nicht mehr die Haare gestylt, weil er das laut Koran halt nicht machen sollte. Er ist nicht mehr weg gegangen, er hat den Kontakt zu früheren Freunden abgebrochen und hat sich mehr darum gekümmert, dass er in die Moschee geht, dass er beten geht und den Koran liest und arabisch lernt. Das ganze hat sich dann weiter verschlimmert. Er hat seine komplette Zimmerausstattung verkauft, kein TV mehr geschaut, hat den Computer verkauft, hat in der Wohnung Bilder von den Wänden genommen und umgedreht, damit sie nicht mehr zu sehen waren und hat dann auch bis auf die Gänge zur Moschee keinen Kontakt mehr zu früheren Freunden oder Bekannten gehabt."
Warum nicht? Unter denen waren ja auch Muslime!
"Genau. Er hat mir gegenüber erwähnt, dass die ja nicht richtig nach dem Islam leben würden, sondern dass diese ja einen falschen Islam leben würden und deswegen möchte er zu diesen keinen Kontakt haben. Er hat dann zwar weiterhin Kontakt zur Familie gehabt und mit uns darüber gesprochen, aber man hat in den Gesprächen gemerkt, dass er immer, immer fanatischer wird. Es gab dann irgendwann keine Gespräche mehr, in denen es rein informativ um den Koran oder den Islam ging, nein, es waren nachher nur noch Gespräche, in denen er einem regelrecht aufzwingen wollte, was er so gehört hat. Und dann hat er die Schule abgebrochen..."
Gab es irgendwie einen Anlass? Das ist ja relativ plötzlich gekommen. Für Sie war das sehr überraschend. Gab es einen Auslöser? Vielleicht ein politisches Ereignis oder Freunde, die eine gewisse politische Ausrichtung hatten?
"Er hatte sich neben der Schule eine Arbeit gesucht und hatte da Kontakte zu jemandem geknüpft, der ihm diesen Islam dann näher gebracht hat und mit dem er später auch in Kontakt gestanden hat. Wir vermuten halt, dass das den Anlass dazu gab, dass er seine Meinung so geändert hat und auch immer mehr verstärkt hat."
Ist er denn einer, der sich leicht beeinflussen lässt?
"Eric war einer, der sich immer leicht beeinflussen ließ. Er hat sich doch schon seinem Freundeskreis ziemlich gut angepasst. Er hatte doch schon immer auch das Bedürfnis, in seinem Freundeskreis anerkannt zu werden und auch in seinem Freundeskreis immer mit dabei zu sein. Er wollte niemand sein, der hinten ansteht und auf dem die anderen mit dem Finger zeigen und sagen 'Der ist blöd!' oder sonst was - er wollte schon immer dabei sein."
Letztes Jahr haben Sie Ihren Bruder mal richtig konfrontiert. Wie hat man sich das vorzustellen? Wie ist das abgelaufen? Sind Sie zu ihm hingefahren oder wie haben Sie das gemacht?
"Ich habe halt dann erfahren, dass er die Schule abgebrochen hat. Das war für mich sehr unverständlich, da er sich so auf diese Schule gefreut hat. Er hat so viel Zeit da rein investiert und wollte diesen Abschluss unbedingt machen. Ich bin dann natürlich zu ihm nach Hause gefahren und habe dann das Gespräch mit ihm gesucht und habe dann in diesem Gespräch sehr schnell gemerkt, dass es da kein Zukommen mehr gab. Egal was man zu ihm gesagt hat, seine einzigen Antworten waren: 'Ich brauche das nicht, ich muss nur arabisch lernen und was ich hier in der Schule lerne, das ist alles unwichtig. Ich werde Deutschland sowieso verlassen, ich will sowieso in einem arabischen Land leben.' Es hat da überhaupt kein Zukommen mehr gegeben, man konnte ihm mit normalen Worten nicht mehr beikommen, da ging gar nichts mehr."
Ging es in dieser Phase nur darum, den islamischen Glauben in Perfektion zu leben, oder ging es da auch schon darum, möglicherweise irgendwo mitzukämpfen, um den sogenannten "Heiligen Krieg"?
"Also er hat unserer Familie gegenüber nie in den Gesprächen irgendwie angedeutet, dass er in den heiligen Krieg ziehen will. Er hat es uns eigentlich so erklärt, dass er dort halt leben will, weil das ein islamisches Land ist, weil er dort nach islamischem Brauch leben kann - besser als in Deutschland; dass halt dort auch ein heiliger Boden ist. Aber dass er in irgendeinen Krieg ziehen will, hat er nie gesagt. Meine Oma hat ihn darauf angesprochen, dass sie die Vermutung hat, dass er in so eine Richtung geht und das hat er immer wieder verneint. Er hat immer wieder gesagt 'Nein, da braucht ihr euch keine Sorgen zu machen. Ich will nicht in einen Heiligen Krieg ziehen, ich bin kein Terrorist!' Er hat das immer wieder verneint und das war für uns dann nachher umso verwunderlicher, als wir dann das Video sahen."
Er ist nach Ägypten gegangen. Was hat er da gemacht?
"Er hat uns damals gesagt: Er geht nach Ägypten um die arabische Sprache zu studieren. Als er dann in Ägypten war, hat er uns auch mitgeteilt, dass er sich auf einer Universität angemeldet hat, dass die Universität im Oktober beginnen wird, dass er dort zwei Jahre lang die arabische Sprache studieren wird, dass er dann auch noch mal zurück nach Deutschland käme, aber halt nicht wüsste, ob er dauerhaft in Deutschland leben wolle. Er hatte schon den Wunsch geäußert, dass er eventuell in einem islamischen Land leben wollte, aber er hat dabei auch nie geäußert 'Ich will da in einen Krieg ziehen!', sondern er hat geäußert 'Ich will hier leben, ich will hier heiraten, ich will hier studieren und ich will hier später arbeiten!'"
Sie hatten in der Zeit dann E-Mail-Kontakt mit ihm, regen E-Mail-Kontakt?
"Wir hatten teilweise mindestens einmal die Woche, manchmal war es auch zwei-oder dreimal die Woche, wo wir geschrieben haben, aber es war sehr regelmäßig."
Was hat er so geschrieben? Hat er was erzählt von Ägypten?
"Er hat eigentlich hauptsächlich gefragt, wie es uns geht, wie es in Deutschland so ist, was wir so machen, ob sich etwas verändert hat, ob alles noch beim Alten ist. Ansonsten hat er natürlich auch ein bisschen erzählt. Er hat natürlich erzählt, dass es dort schön warm ist, dass ihm das Land gut gefällt, hat allerdings auch etwas geschrieben, dass die Bürokratie nicht so wie in Deutschland wäre, dass er nicht so genau wüsste, wo er genau wohne, dass es mit der Post sehr schwierig wäre, weil die dort keine Adressen hätten und keine Hausnummern. Also er hat so ein bisschen was erzählt, aber hauptsächlich hat er sich immer wieder nach uns erkundigt."
Und dann brach der Kontakt auf einmal ab, warum?
"Er hatte uns damals halt mitgeteilt, dass ein Bekannter aus Deutschland zu ihm nach Kairo käme und ziemlich zu diesem Tag auch, ich glaube es war 1-2 Tage später, hat er sich dann noch ein letztes Mal kurz per E-Mail gemeldet und danach war kein Zugang mehr möglich. Wir haben ihm dann noch E-Mails geschickt, aber die wurden nicht beantwortet. Er war dann von heute auf morgen spurlos verschwunden, wir wussten nicht wohin. Er hat auch nie in einer E-Mail erwähnt, dass er eventuell Kairo jetzt verlassen möchte." Er hat sich dann ganz offenbar aufgemacht auf den Weg nach Pakistan, ist in den Trainingslagern gewesen. Sie haben dann noch mal eine E-Mail von ihm bekommen. Was hat er da geschrieben?
"Er hat in dieser Mail uns eigentlich nur gefragt, wie es uns geht. Hat uns mitgeteilt, dass es ihm gut geht. Hat kurz etwas über den Islam geschrieben und dann halt, dass er sich noch mal melden werde und halt mitgeteilt, dass er nicht vorhat, nochmal zurück nach Deutschland zu kommen."
Wussten Sie zu dem Zeitpunkt, dass er wahrscheinlich in einem Trainingslager ist?
"Man hat es öfter mal vermutet, sicher konnte man sich ja nicht sein, man wusste es ja nicht genau. Man hat es vermutet, nachdem er aus Kairo weg war, nachdem auch kein Telefonkontakt mehr möglich war, da sein Telefon nicht mehr funktioniert hat, dass er sich womöglich jetzt aufgemacht und in ein Trainingslager gegangen ist. Man hat natürlich immer gehofft, dass das nicht so ist. Man hat natürlich immer gehofft, dass er doch noch in Kairo ist und vielleicht nur nicht die Möglichkeit hat, sich zu melden."
Wenn Sie mal reflektieren, das ist ja unglaublich schnell gegangen innerhalb von einem Jahr bis zu diesen Videos jetzt. Gibt es Punkte, wo man sagt, da hätte man was anders machen können oder gibt es überhaupt Möglichkeiten, Dinge anders zu machen, um zu verhindern, dass junge Leute da reinrutschen?
"Man macht sich natürlich jeden Tag Gedanken darum 'Was hätte ich in der Situation tun können?'. Ich persönlich denke, dass es falsch ist, den Jugendlichen - wenn Sie in solch eine Situation kommen - Vorwürfe zu machen. Ich denke, es ist wichtiger zu versuchen, sie aufzuklären, versuchen, ruhig auf sie einzuwirken, ihnen im ruhigen Ton zu erklären, was sie da eigentlich machen, welchen Weg sie eigentlich hier gehen, und ihnen ganz einfach klar zu machen, das hier ist nicht mal 'ein wenig Konvertieren', sondern ihr landet dann am Ende irgendwo in Afghanistan und wenn ihr dort seid, dann könnt ihr nicht mal gerade so sagen 'Ich fahre jetzt heim!'. Ich denke aber, in dieser kurzen Zeit ist es sehr, sehr schwer, auf jemanden noch einzuwirken, wenn von einer anderen Seite genauso auf ihn eingewirkt wird."
Das komplette Interview ist heute ab 16 Uhr abrufbar über www.heute.de.
Rückfragen bitte direkt an die Redaktion, Elmar Theveßen, 06131/702580
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