ZDF-Programmhinweis
37°: 100 ist doch kein Alter! - Ein Jahrhundert Leben
Film von Doro Plutte
Mainz (ots)
"Man muss auf sich selbst stolz sein können", sagt Helene Gisy. Nach dem Grund für ihre geistige und körperliche Fitness im hohen Alter gefragt, erzählt sie, dass sie immer viel gearbeitet hat. Mit 20 Jahren hat sie zusammen mit ihrem Mann einen Schuhladen eröffnet. Heute gehört das Schuhhaus Gisy zu den renommiertesten Adressen in Hannover. "Es ist wichtig, etwas zu tun zu haben, gebraucht zu werden", sagt Helene Gisy. Heute ist sie 100 Jahre alt. "Ich bin immer als letzte aus dem Laden gegangen, wenn alle Mitarbeiter weg waren." Nach dem Krieg, die Geschäfte liefen, kaufte sie sich einen Porsche. Als eine der ersten Frauen überhaupt. Sie machte Urlaub auf Sylt und in Sankt Moritz, war immer gut angezogen. "Ich habe viel Geld verdient, aber ich habe mir auch etwas geleistet." Einige ihrer Kleider aus den 40ern hängen noch heute in ihrem Kleiderschrank. Seit 1970 besitzt sie einen goldfarbenen Mercedes, eine Pagode. Inzwischen ist das Auto ein Oldtimer, aber bestens in Schuss. "Wir passen gut zusammen, dieses Auto und ich", lächelt sie. "Es hat mir die Treue gehalten und ich ihm." Die tiefsten Stunden ihres Lebens waren die, als ihr Mann nach 63 Ehejahren starb. Heute hat Helene Gisy wieder einen Partner. Er ist 52 Jahre jünger als sie. Die beiden verreisen miteinander, gehen aus, und mindestens einmal am Tag tanzen sie zusammen.
"Die Welt ist viel schneller geworden, und der Druck auf die jungen Menschen hat zugenommen", denkt Joachim Krahnen. 1916 in Berlin geboren, lebt er heute mit seiner Frau in Kronberg. "Dass ich lebe, ist ein Geschenk und eine Gnade", sagt er. "Meine Generation wurde ja fast vollständig ausradiert." Elf Jahre lang war er Soldat, bis heute steckt eine Kugel, die ihn vor Frankreich getroffen hat, in seinem Kopf. Nach dem Krieg begann eine erstaunliche Karriere. Krahnen war geschäftsführender Mitinhaber der Bethmann-Bank, er ist Mitbegründer der Baumarktkette OBI und der Robinson Clubs und hat wesentlichen Anteil an der Einführung der Betriebsräte in deutschen Unternehmen. 1970 wurde er zum Honorarprofessor an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt ernannt. Seine Sehkraft hat stark nachgelassen, nicht aber das Interesse an politischen Themen. So lässt er sich jeden Tag aus verschiedenen Zeitungen vorlesen und diskutiert mit seinen ehrenamtlichen Vorlesern im Anschluss daran über das Zeitgeschehen. Bei all seinem Erfolg ist er ein bescheidener Mensch geblieben. "Das ist die Nachwirkung des Krieges", so Krahnen. "Wer dem Tode so nahe war, der lebt danach dankbarer. Die Leute heute fragen immer nach 'mehr, mehr, mehr!', ich hatte immer 'genug, genug, genug'."
Gefragt, was das Wichtigste für die jüngeren Generationen sei, sind sich Krahnen und Gisy einig: "Nie wieder Krieg! Es darf nie wieder zu so einem schrecklichen Krieg kommen! Dafür müssen die jungen Leute alles tun!"
In Deutschland leben Schätzungen zufolge 13 000 Menschen, die 100 Jahre oder älter sind. Damit hat sich die Zahl der Hundertjährigen innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt. Menschen wie Frau Gisy schauen auf zwei Weltkriege zurück, auf eine Zeitspanne, in der sich die Welt rasant verändert hat. Als die heute 100-Jährigen zur Welt kamen, gab es noch einen Kaiser, und man fuhr mit der Postkutsche. Heute beobachten sie, wie ihre Enkel im Internet surfen. Sie haben Zerstörung und Wiederaufbau erlebt, wirtschaftliche und persönliche Krisen durchstanden.
Der nahende Tod ist den Menschen "um die 100" bewusst. Aber eben auch das Leben. Eingeschränkt in mancher Hinsicht. Aber immer noch lebenswert. Sie haben viel erlebt, viel zu erzählen und viel Weisheit weiterzugeben an die nachfolgenden Generationen. Und sie sind in mehrerer Hinsicht Vorbild. Denn die Zahl der 100-Jährigen wird in den nächsten Jahren stetig steigen. Und die "37°"-Sendung zeigt: Alt werden kann sich lohnen.
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