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Stadt im Visier, Mittwoch, 26. Februar 2003, 0.20 Uhr
Mainz (ots)
Mittwoch, 26. Februar 2003, 0.20 Uhr Stadt im Visier Notizen aus Bagdad Von Luc Walpot
Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Der Präsident habe eine Amnestie erlassen. Alle Gefangenen sollen sofort entlassen werden. Innerhalb einer Stunde versammeln sich in Abu Gharib vor den Toren Bagdads mehr als 50.000 Menschen. Sie rütteln an den Toren der größten Haftanstalt des Iraks. Die Wachmannschaften sind überfordert. Sie öffnen die Tore. Die Familien strömen in das Gefängnisgelände. Brüder liegen sich nach 20 Jahren wieder in den Armen. Mütter brechen tränenüberströmt zusammen, ihren auf immer verloren geglaubten Sohn an der Seite. Am Abend wird das Staatsfernsehen den Großmut des Präsidenten Saddam Hussein loben. Das passt ins Bild. Was nicht passt, ist die Demonstration von einigen Dutzend Familien am nächsten Tag mitten in Bagdad. Diese Menschen suchen "ihre" Gefangenen: Söhne, Väter, Brüder, die trotz Amnestie nicht zurückkamen. Verschollen in den Kerkern des Saddam Hussein.
Auch Wahida wartet vergeblich auf ihren Mann. Sie ist Kriegswitwe. Wo ihr Mann im Iran begraben liegt, weiß sie nicht. Es ist Jahre her. Ein kleines Passfoto von ihm ist das einzige, was ihr blieb. Eine von Tausenden Kriegswitwen im Irak. Die Rente reicht kaum zum Überleben, und über das Schicksal klagen, hieße die kriegerischen Niederlagen des Präsidenten anzuprangern.
Im Nachbarviertel schuftet Khaled zehn Stunden am Tag in der Eisenschmiede. Der Junge ist erst 14, aber er hat den Arbeitsplatz seines Vaters übernommen, um den jüngeren Bruder und die Mutter zu versorgen. Khaleds Vater wurde als Reservist wiedereinberufen zur Armee.
Schicksale im Land des Saddam Hussein. Nach zwei blutigen Golfkriegen ist der Irak heute auf dem Niveau eines Dritte Welt Landes angelangt. Das fruchtbare Zweistromland mit den zweitgrößten Ölreserven der Welt zahlt einen hohen Preis für die Herrschaft der Baath-Partei und des Diktators Hussein. Nur durch das "Öl-für-Nahrungsmittel-Programm" der Vereinten Nationen kann die Bevölkerung vor dem Hungertod gerettet werden, müssen 4 Millionen mit einer brüchigen Stromversorgung leben. Die Trinkwasseraufbereitung ist ein Luxus. Chemikalien und Ersatzteile für Pumpen und Maschinen fehlen. Die Abwässer werden größtenteils ungeklärt in den Tigris geleitet.
Der Film von ZDF-Korrespondent Luc Walpot zeigt, wie Menschen mit dieser permanenten Ausnahmesituation fertig werden. Lethargisch und resigniert nehmen die Iraker die Vorbereitungen für einen neuen Krieg wahr. Sie legen Vorräte an, lagern Trinkwasser. Dass der Krieg kommt, davon sind sie überzeugt. Auch wenn ihre Stadt in diesen Tagen von Gruppen friedensbewegter Ausländer bevölkert wird. Sie wissen es besser. Wie der deutsche Bernd Stange, der die Fußballnationalmannschaft des Landes eigentlich zur WM 2006 nach Deutschland führen sollte. Stange reiste vor zwei Wochen ab. Sie können es ihm nicht verdenken.
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