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ZDF-Pressemitteilung
ZDF-Magazin "Frontal 21" am 6. April 2004: Interview mit dem Gesundheitsexperten der Union, Horst Seehofer

Mainz (ots)

ZDF-Magazin "Frontal 21" am 6. April 2004: Interview
mit dem Gesundheitsexperten der Union, Horst Seehofer Seehofer:
Krankenkassen haben rechtswidrig gehandelt Schuldenberg wird auf 10
Milliarden Euro steigen/Beiträge können nicht sinken Rund 20
Krankenkassen sind in Deutschland in eine finanzielle Schieflage
geraten, so die Informationen des ZDF-Magazins "Frontal 21".
Betroffen sind besonders diejenigen Kassen, die mit niedrigen
Beitragssätzen Kunden angelockt haben. Sie haben, so der Vorwurf von
Experten, niedrige Beitragssätze mit rechtswidrigen Krediten
gegenfinanziert. Einigen Krankenkassen droht deswegen die Schließung,
den Vorständen millionenschwere Entschädigungsklagen. "Frontal 21"
hat mit dem Gesundheitsexperten der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen
Bundestag, Horst Seehofer, aus diesem Anlass ein Interview geführt.
Frontal 21: Herr Seehofer, was halten Sie davon, dass mehrere
Krankenkassen in der Vergangenheit Kredite aufgenommen und damit
einen Schuldenberg angehäuft haben? Seehofer: Eigentlich hätten diese
Krankenkassen in der Vergangenheit ihre Beiträge erhöhen müssen - es
geht ja um die Zeit vor der Gesundheitsreform -, da haben sie dies
nicht getan, sondern sind zur Bank gegangen und haben Kredite
aufgenommen, um ihre Ausgaben zu finanzieren. Das alleine ist schon
rechtswidrig. Warum die Banken das gemacht haben, die das Recht
kennen mussten, ist auch eine Frage. Mit dem niedrigeren Beitrag
haben die Krankenkassen natürlich Mitglieder bekommen. Mitglieder von
Kassen, die erhöht haben, sind dann zu den Kassen gegangen, die ihre
Beiträge niedrig hielten, aber gegenüber der Öffentlichkeit
verschwiegen haben, dass sie nur deshalb niedriger bleiben konnten,
weil sie zur Bank gegangen sind. Und das ist eine Manipulation.
Frontal 21: Gegen Vorstände der Betriebskrankenkasse Nordrhein-
Westfalen werden nun Schadensersatzforderungen in Höhe von 65
Millionen Euro gestellt. Wie bewerten Sie einen solchen Vorgang?
Seehofer: Das ist wahrscheinlich nur der Vorbote dessen, was da noch
auf uns zukommt, denn es stellt sich immer stärker heraus, dass viele
Krankenkassen gegen das Recht gehandelt haben, sich verschuldet
haben, die Bezahlung von Rechnungen verzögert haben, um einen Beitrag
in der Vergangenheit anbieten zu können, der mit der wirtschaftlichen
Situation nicht im Einklang stand. Der Hintergrund ist der, dass sie
sich auf dem Markt eine sichere Position geschaffen haben. Das Ganze
erfolgte zum Schaden des Gesundheitswesens. Deshalb kann man nicht
zur Tagesordnung übergehen, sondern diejenigen, die rechtswidrig
gehandelt haben, müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Frontal 21:
Wie viele Kassen sind betroffen? Seehofer: Nach allem, was ich bisher
an Informationen habe, geht es um zehn, maximal 20 Krankenkassen in
Deutschland. Frontal 21: Wie hoch ist die Verschuldung? Seehofer: Man
ging ja bisher bei der Gesundheitsreform immer davon aus, dass in der
Größenordnung von fünf, sechs, sieben Milliarden die Verschuldung
aufgelaufen ist - einschließlich der Defizite, die jetzt entstanden
sind im letzten Jahr. Aber ich höre jetzt auch durchaus eine Zahl,
die um die zehn Milliarden oszilliert. Das wäre ein gewaltiges
Volumen. Das ist ein Beitragssatzpunkt in der gesetzlichen
Krankenkasse. Frontal 21: Wer hat den Schaden? Die Beitragszahler?
Seehofer: Es ist finanziell ein Doppelschaden für die Versicherten,
und die müssen jetzt von ihren Beiträgen Schulden bezahlen, was in
der Krankenversicherung ja nicht der Fall sein sollte. Wir sollten
die Beiträge verwenden, um die Kranken zu versorgen und nicht um die
Zinsen für die Schulden zu bezahlen. Es sind die Leistungserbringer,
die auf ihren unbezahlten Rechnungen sitzen. Und es ist insgesamt ein
gewaltiger Imageschaden für die Krankenversicherungen. Frontal 21:
Haben die Patienten etwas zu befürchten oder bleiben die Kassen
zahlungsfähig? Seehofer: Patienten hätten nur dann etwas zu
befürchten, wenn Rechnungen gegenüber den Leistungserbringern nicht
bezahlt werden und deshalb die Leistungserbringer finanziell in
Schwierigkeiten kommen, zum Beispiel Krankenhäuser. Da kann man nur
an die Kassen appellieren, jetzt zu dem Punkt, den sie ja ohnehin
schon angerichtet haben, nicht noch einen drauf zu setzen und Schaden
für die Patienten anzurichten. Sprich: einfach die Rechnungen zu
bezahlen. Frontal 21: Wie steht es bei den betroffenen Kassen um die
Beitragssenkung? Können die Beiträge dort nicht gesenkt werden?
Seehofer: Insgesamt wird das Einsparvolumen durch diese
Gesundheitsreform erreicht. Die Beiträge werden sinken. Auch unter
den durchschnittlichen Beitragssatz von 14 Prozent sinken. Wir werden
auch insgesamt die Krankenkassen sanieren, in dem Zeitraum, den sich
der Gesetzgeber vorgenommen hat, von vier Jahren. Und die Kassen, die
jetzt in den nächsten Monaten nicht senken können, die muss man sich
sehr genau anschauen, warum sie das nicht können. Da muss man auch
sehr genau hinschauen, wenn es um die Verschuldung geht, wie das
passieren konnte. Bei allem Unglück jetzt über diese Entwicklung bei
verschuldeten Kassen, ist damit der große Vorteil verbunden, dass
jetzt die schwarzen Schafe aufgedeckt werden. Ich werde jedenfalls
größten Wert darauf legen, bei all den Kassen, die ihre Beiträge
trotz der Milliarden Einsparungen nicht senken, sehr genau die
Antwort zu verlangen: warum? Frontal 21: Wer muss jetzt handeln? Was
muss jetzt mit den Kassen passieren? Seehofer: Ich würde sagen, auf
jeden Fall müssen die Kassen sehen, dass sie diese Dinge in Ordnung
bringen. Was wiederum Probleme auslöst, denn das wird die gesamte
Beitragssenkung in Folge der Gesundheitsreform beeinträchtigen. Und
es muss auch politisch aufgearbeitet werden. Meine Fraktion wird dazu
eine Anfrage an die Bundesregierung richten, und nach Vorlage der
Antwort werden wir das auch im Deutschen Bundestag politisch
aufarbeiten müssen. Da ist getrickst worden, in rechtswidriger Weise,
und da muss man auch überlegen, welche Konsequenzen auch
gesetzgeberisch daraus gezogen werden. Nicht nur mit Schadenersatz
und Aufsicht und anderen Dingen, sondern auch: Gibt es einen Anlass,
darauf gesetzgeberisch zu antworten? Frontal 21: Wie könnte man es
gesetzgeberisch in Zukunft unterbinden, dass Schuldenberge angehäuft
werden? Seehofer: Man muss erst mal durchleuchten, wie konnte es
passieren, dass diese Kassen offensichtlich über längere Zeit in die
Schuldenfalle gegangen sind. Und warum hat dies niemand von den
Vorständen, Verwaltungsräten und Aufsichten gemerkt? Liegt das an der
Art und Weise, wie in den Krankenkassen Rechnungen gelegt werden?
Gibt es Bestimmungen, die zu wenig Kontrolle für die Aufsichtsräte,
beziehungsweise Verwaltungsräte lassen? Welche Funktion haben dabei
die Dachverbände gespielt? Die Kassen haben ja im Regelfall
Dachverbände. Und welche Materialien haben jeweils die Aufsichtsräte
erhalten? Wie sind die Aufsichten besetzt? Sind die überhaupt so
ausgestattet, um versicherungsmathematische und rechtlich schwierige
Sachverhalte zu durchleuchten? Es könnte ja sein, dass erstklassige
Experten bei den Krankenkassen tätig sind, aber nicht ausreichende
Besetzungen fachlich und quantitativ bei den Aufsichtsbehörden. Und
das hätte dann natürlich eine gesetzgeberische Konsequenz. Aber das
kann man heute noch nicht beurteilen. Für mich stellt sich jedoch
auch noch die Frage, warum hier die Aufsichten vorbei geschaut haben.
Die Krankenkassen stehen unter der Aufsicht der Länderministerien
oder des Bundesversicherungsamts, und offensichtlich haben die
Aufsichten hier etwas nicht bemerkt oder vorbeigeschaut. Das
komplette Interview ist auch auf der Homepage von "Frontal 21"
nachzulesen unter www.frontal21.de.
ots-Originaltext: ZDF
Digitale Pressemappe: 
http://www.presseportal.de/story.htx?firmaid=7840

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