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ZDF-Pressemitteilung
Wirklichkeitsbezug bedeutet Verantwortung
Eröffnungsvortrag von Prof. Schmidt (Münster) bei den Mainzer Tagen

Mainz (ots)

Wirklichkeitsbezug bedeutet Verantwortung
Eröffnungsvortrag von Prof. Schmidt (Münster) bei den Mainzer Tagen
Es gibt keine saubere Trennung zwischen Fakten und Fiktion. Von den
Medien vermittelte Wirklichkeit ist immer und unausweichlich
Medienwirklichkeit. Die Antwort auf die Frage nach dem
Wirklichkeitsbezug des Fernsehens heißt deshalb Verantwortung. Das
sind Kernaussagen des Münsteraner Kommunikationswissenschaftlers
Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt aus seinem Eröffnungsreferat
"Fernsehwirklichkeit: Eine systematisch verzerrte Debatte" bei den
diesjährigen Mainzer Tagen der Fernseh-Kritik. Sie finden am 26. und
27. April im Mainzer ZDF-Sendezentrum statt.
Die Frage nach dem Wirklichkeitsbezug des Mediums Fernsehen ist
offenbar, allen Bemühungen zum Trotz, immer noch nicht beantwortet.
Repräsentiert das Fernsehen die Wirklichkeit oder konstruiert es
sie? Wer so fragt, hat schon stillschweigend vorausgesetzt, dass
Ereignisse und Personen "in der Wirklichkeit" unabhängig von ihrer
Darstellung in den Medien existieren. Eben diese unbefragte
Voraussetzung aber schickt uns in die Irre. Wir sollten stattdessen
fragen: Wie erzeugen Medien durch ihr spezifisches Operieren Medien-
Tatsachen und Medien-Fiktionen? Wie gehen Mediennutzer unter ihren
spezifischen Nutzungsbedingungen mit Medien-Tatsachen und Medien-
Fiktionen um? Und wie vergleichen wir Medien-Tatsachen mit anderen
Fakten, die wir für wirklich halten? Mit solchen Fragen wird der
Vergleich zwischen Wirklichkeit und Medienwirklichkeit aufgelöst und
übersetzt in die Frage nach den Voraussetzungen und Bedingungen der
jeweils angefertigten Wirklichkeitsbeschreibungen.
Nicht nur für den Medienwissenschaftler, auch für die Medien selbst
wird offenbar das alteuropäische Weltbild mit der sauberen Trennung
von wirklich und fiktiv, wahr und falsch, real und virtuell, aber
auch von gut und böse immer problematischer. Es wird immer
schwieriger, Fakten und Fiktionen, Realität und Virtualität,
Journalismus und Unterhaltung, Moralität und Amoralität
voneinander zu unterscheiden - neue Formate wie Infotainment,
Faction, Informercials oder Reality Soaps sprechen hier eine
deutliche Sprache. Wenn uns aber "die Wirklichkeit", "die Wahrheit"
und "das Gute" als objektive Sicherheiten abhanden kommen, dann
erlebt die altehrwürdige Kategorie Verantwortung aus
erkenntnistheoretischen, nicht aus moralischen Gründen, eine
unerwartete Renaissance. Wenn wir Menschen durch unser Operieren das
entstehen lassen, was wir als wirklich, wahr und gut behandeln, dann
bleibt uns gar nichts anderes übrig, als die Verantwortung für unser
Handeln und dessen Resultate zu übernehmen.
Verantwortungsdebatten sind schwierig. Aber sie müssen von den
einzelnen Individuen wie von Organisationen geführt werden, um die
Gründe für das Handeln, seine Rechtfertigung und seine
Sozialverträglichkeit beobachtbar und bewertbar zu machen. Das gilt
in ganz besonderer Weise für Medien wie das Fernsehen, die als
Anbieter von öffentlichen und prinzipiell von jedem nutzbaren
Orientierungs- und Kommunikationsangeboten auftreten. Solange das
Fernsehen noch eine bedeutsame Definitionsmacht über wichtige
Kategorien gesellschaftlicher Ordnung von Demokratie und Freiheit
bis zu Macht und Gewalt, Besitz und Sozialverantwortung besitzt,
muss jeder im Sender im Rahmen seiner Kompetenz bewusst und
einklagbar Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Die
vielzitierte ökonomische Bestimmtheit der Medien muss moralisch
bearbeitet werden, um die Unternehmenskultur der Mediensysteme
praktisch werden zu lassen. Wer sich hier hinter Sachzwänge oder
Quotenargumenten verschanzt, verabschiedet sich auf zynische Weise
von Vernunft, Selbständigkeit und Selbstbewusstsein. Nicht "die
Wirklichkeit" dirigiert das Programm, sondern die Wirklichkeit des
Programms dirigiert den Umgang aller Beteiligten mit anderen
Wirklichkeiten. Deshalb sollten wir die Sender nicht aus ihrer
Pflicht zur Mündigkeit entlassen.
ots-Originaltext: ZDF
Digitale Pressemappe: 
http://www.presseportal.de/story.htx?firmaid=7840

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