CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Rede des Vorsitzenden der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Friedrich Merz MdB, in der Debatte des
Deutschen Bundestages
Sperrfrist: Redebeginn
Berlin (ots)
Sperrfrist: Redebeginn.
Es gilt das gesprochene Wort!
Rede des Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Friedrich Merz MdB, in der Debatte des Deutschen Bundestages:
"Terroranschläge in den USA und Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie der NATO"
Anrede
Vielleicht haben wir alle erst am vergangenen Wochenende, als wir nach langen Tagen und Nächten in Berlin in der letzten Woche etwas Zeit zum Nachdenken hatten, verstanden, was wirklich geschehen ist.
Dieser 11. September 2001 hat die Welt grundlegend verändert. Wir alle sind heute gefordert zu einem klaren "Ja" zur Gemeinschaft der freien Völker, zum Bündnis der NATO und vor allem zu unseren Freunden in den Vereinigten Staaten von Amerika. Dies ist nicht die Zeit für ein "Ja, aber".
Wir Deutsche stehen in der Pflicht, innerhalb der Nordatlantischen Allianz ein Teil der Solidarität zurückzugeben, die wir, insbesondere von Amerika, in über 50 Jahren erfahren haben. Und wir können und müssen das Fundament legen für die Atlantische Allianz im 21. Jahrhundert. Die Attentate vom 11. September markieren den ersten Testfall für die neue NATO, die sich mit dem Strategischen Konzept vom April 1999 auf die veränderte Sicherheitslage bereits ausgerichtet hatte.
Man muss schon fast sagen: In kluger Voraussicht hat die NATO vor zwei Jahren in Washington festgestellt, dass Sicherheitsinteressen des Bündnisses durch Akte des Terrorismus, der Sabotage, des organisierten Verbrechens sowie der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen berührt sein können. Dies ist auf grausame Weise vor wenigen Tagen Realität geworden. Eine Realität, der wir uns alle stellen müssen.
Deshalb geht es auch bei weitem nicht allein um Dankbarkeit von uns Deutschen für Solidarität im Bündnis. Wenn die NATO den Bündnisfall auslöst, und dies ist das erste Mal in der Geschichte der NATO, es ist eine historische Entscheidung, dann kommt darin auch zum Ausdruck: Es liegt in unserem ganz eigenen Interesse, ohne jeden Vorbehalt mitzuwirken an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus.
So wie New York hätte es auch Paris oder Berlin treffen können. Und es hat uns unmittelbar getroffen, denn auch deutsche Staatsbürger sind bei den menschenverachtenden Attentaten ums Leben gekommen.
Wichtig ist, dass wir uns Klarheit verschaffen, dass wir den vielen, die uns heute zuschauen und zuhören, sagen, worum es geht: Wir haben es zu tun mit den Feinden der offenen Gesellschaft, mit einem totalitären Anspruch der Unfreiheit, der sich gegen uns alle richtet und der die Grundwerte der demokratischen und freiheitlichen Gesellschaften in Frage stellt. Deshalb ist eine klare und unmissverständliche Antwort erforderlich: Es darf keinen Zweifel geben, dass alles getan wird, um die Täter und die Hintermänner zur Verantwortung zu ziehen. Der freiheitliche, demokratische Rechtsstaat muss sich als wehrhaft erweisen, wenn er glaubwürdig bleiben will.
Deshalb, Herr Bundeskanzler, haben wir Ihr Angebot an die amerikanischen Freunde zu uneingeschränkter Solidarität auch unterstützt. Sie können sich, wenn Sie diese Politik beibehalten und sie fortsetzen, auch in Zukunft auf unsere Zustimmung verlassen.
Täuschen wir uns nicht darüber, dass es schwierig wird: Es wird ziemlich sicher - neben allen Bemühungen um Diplomatie, Aufklärung und Strafverfolgung - auch militärische Aktionen geben, geben müssen. Das Ziel solcher militärischen Operationen wird nicht sein, Vergeltung zu üben. Jeder Einsatz gegen die Terroristen, gegen ihre Infrastruktur, gegen das Umfeld, das sie schützt und das ihre Taten erst möglich macht, ist Teil einer Strategie der Prävention für Freiheit, für Frieden, für das Recht und den Schutz auch unserer Bürger; denn Sicherheit ist und bleibt die Grundlage der Freiheit.
Sicherheit und Freiheit bedingen sich gegenseitig. In diesem Sinne muss Benjamin Franklins Satz verstanden werden: "Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren."
Und Wilhelm von Humboldt hat diesen Zusammenhang so formuliert: "Ohne Sicherheit vermag der Mensch weder seine Kräfte auszubilden noch die Frucht derselben zu genießen. Denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit."
Bei der Herausforderung, die Sicherheit in Freiheit zu gewährleisten, geht es nicht, wie manche in diesen Tagen schreiben, um eine Auseinandersetzung unterschiedlicher Kulturen oder Religionen. Die Anschläge von New York und Washington sind weltweit und von fast allen Staaten und von ganz unterschiedlichen Kirchen, Glaubens- und Religionsgemeinschaften und deren geistlichen Oberhäupter klar und eindeutig verurteilt worden; die Vereinigten Staaten von Amerika haben ihrerseits bisher sehr besonnen reagiert. Dieses gemeinsame Verhalten vieler Staaten und vieler engagierter Menschen in den Kirchen in aller Welt hat eine noch nie da gewesene Allianz gegen den internationalen Terrorismus, und um den geht es, möglich gemacht. So furchtbar die Anschläge waren: Sie geben uns jetzt vielleicht die Chance, weltweit zu einer Ächtung des Terrorismus zu kommen und ihn wirkungsvoll zu bekämpfen.
Gleichzeitig ist der Dialog der Kulturen und Religionen wichtiger denn je. Dies gilt auch für Deutschland mit den mehr als 2 Millionen hier lebenden Mitbürgern islamischen Glaubens. Dies gilt weltweit. Feindbilder helfen niemandem weiter. Es ist nicht zuletzt das geistige Erbe und der Auftrag der Aufklärung, ein friedliches Miteinander der großen Weltreligionen zu ermöglichen.
Und gerade deshalb: Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, wie wir ihn in New York und Washington so grausam erlebt haben, macht eine neue, umfassende Sicherheitspolitik nach innen und außen notwendig. Das Kursbuch Sicherheit muss national, europäisch und global neu geschrieben werden.
Aufklärung und Prävention heißt das erste Kapitel. Die Staaten und Staatengemeinschaften der freien Welt werden ihre Anstrengungen deutlich steigern müssen, um schon im Vorfeld zu erkennen, wo bestimmte Entwicklungen einsetzen und Anschläge geplant werden. Die Nachrichtendienste brauchen jede Unterstützung, um ihren Auftrag auch wirksam ausführen zu können - politisch, strategisch-konzeptionell, materiell und personell. Die Zeit, in der die naiven Phantasten dieser Welt mit einer Forderung auf Abschaffung der Dienste auf Gehör stoßen, dürfte vorbei sein.
Wir können es auch nicht hinnehmen, dass Deutschland offensichtlich ein bevorzugter Rückzugs- und Ruheraum, ja ein bevorzugter Trainings- und Vorbereitungsraum für Terroristen wird, die sich auf einen gottgegebenen Auftrag berufen und hierfür offenbar auch ein größeres Umfeld vorfinden. Dagegen muss entschieden vorgegangen werden.
Schließlich muss ein Land wie Deutschland, zweitgrößter NATO-Partner, bevölkerungsreichstes Land der EU, in der geopolitischen Mitte Europas gelegen, seine internationale Verantwortung wahrnehmen: Absolute Priorität für Sicherheit nach innen und außen, strategische Koordinierung der Sicherheitsaufgaben in einem Aufgabenspektrum, das von Prävention bis zu massiven militärischen Schlägen zusammen mit den Bündnispartnern auch in entfernten Konfliktgebieten reicht - darauf müssen wir uns vorbereiten, politisch, materiell, personell und natürlich finanziell.
Wenn wir in einer freien und offenen Gesellschaft weiter leben wollen, wenn Zivilisation und Humanität in aufgeklärten Gesellschaften westlicher Prägung auch die Lebensgrundlage unserer Kinder sein sollen, wenn die Grundwerte unserer christlich-jüdischen, unserer abendländischen Kultur weiter gelten sollen, dann dürfen Terroristen unseren Lebensrhythmus nicht bestimmen.
Wir stehen vor einer wahrhaft historischen Herausforderung: Die Freiheit muss jetzt neu verteidigt werden. Ihre Bedrohungen müssen offen angesprochen werden. Und den Feinden unseres freiheitlichen Gesellschaftsmodells muss mit Augenmaß, aber auch unmissverständlich entgegengetreten werden. Der 11. September 2001 ist deshalb auch das Ende aller Zweideutigkeiten!
II.
Nach dem 11. September diesen Jahres können auch wir deshalb nicht weitermachen wie bisher. Erforderlich sind neue Prioritäten der Politik in Deutschland. Mehr denn je erwarten die Menschen in unserem Land von der Politik Führung und Verantwortung. Und sie erwarten konkrete Antworten auf die Ängste und die Sorgen, die sie gerade in diesen Tagen bewegen.
Die Anschläge in den USA zeigen bestehende Handlungsnotwendigkeiten deutlich auf:
Konsequentes und entschlossenes Handeln ist unausweichlich, denn die Bürger werden zurecht fragen, ob wir Politiker alles getan haben, um den Terrorismus in all seinen Formen wirksam zu bekämpfen.
Dabei werden die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit immer weniger wichtig. Wir müssen bereit sein, neue und auch unbequeme Wege zu gehen. Wer Sicherheit will, der muss auch bereit sein, bei der Bundeswehr, beim Bundesgrenzschutz, bei den Nachrichtendiensten, beim Verfassungsschutz, bei den Strafverfolgungsbehörden, bei der Polizei, nicht zuletzt beim Zivilschutz neue Prioritäten zu setzen und ein neues Miteinander zu organisieren, um mehr Sicherheit für alle Bürger zu schaffen.
Anrede
Die Umstände dieses Attentats zeigen einmal mehr, wie dringend wir ein umfassendes Konzept zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung brauchen, das auch in den Erfordernissen der inneren Sicherheit gerecht wird, und das vor allem die Integration von in Deutschland lebenden Ausländern fördert. Wer nun auf Zeit spielt, der leugnet die notwendigen Konsequenzen, die auch vorher schon zu ziehen gewesen wären. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat als erste der Fraktionen des Deutschen Bundestags bereits im Januar 1999 ein Integrationskonzept vorgelegt. Noch vor der Sommerpause haben wir unsere Vorschläge in einem umfassenden Antrag "Zuwanderung steuern und begrenzen. Integration fördern" präzisiert. Wir, die Union, aber vor allem die Bürger unseres Landes erwarten, dass die Bundesregierung die Kraft und den politischen Gestaltungswillen aufbringt, nun ihrerseits einen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einzubringen, der diesen Anforderungen genügt. Sie können zwar einen Gesetzentwurf von der Tagesordnung absetzen, nicht aber die Probleme mit Desintegration, mit Parallelgesellschaften, mit Fundamentalismus, der uns allen und dem friedlichen Miteinander der Menschen in Deutschland schadet.
Herr Bundeskanzler, am 12. September haben Sie hier im Deutschen Bundestag den Vereinigten Staaten von Amerika die "uneingeschränkte Solidarität" Deutschlands zugesichert. Diese Ihre Worte sind vor allem in Amerika auf große Zustimmung gestoßen, sie sind nicht nur in Washington sehr große Aufmerksamkeit gestoßen. Uneingeschränkte Solidarität darf und wird sich nicht in Worten und Bekundungen des Mitgefühls und der Trauer, so wichtig diese allein schon waren, erschöpfen. Den Worten müssen Taten folgen. Es wird Schwierigkeiten dabei geben, auch Rückschläge. Aber gerade dann wird sich Solidarität erst wirklich beweisen. Der sichere Freund bewährt sich in unsicherer Zeit. Deutschland muss jetzt Kurs halten und darf keine Zweifel zulassen, auch im Interesse unseres Landes und seiner Menschen. Wenn Sie in diesem Sinne Ihre Politik fortsetzen, dann werden Sie unsere Unterstützung dabei finden.
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