"Ganz egal, wer kommt. Es muss gewonnen werden."
Berlin (ots)
Interview CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender Volker Kauder im Tagesspiegel am Sonntag:
Trauen Sie dem SPD-Kandidaten Martin Schulz zu, dass er sich von Sarah Wagenknecht zum Kanzler wählen ließe? Ja.
Wird Rot-Rot-Grün mit Schulz vielleicht sogar wahrscheinlicher?
Es haben sich doch schon in der jüngeren Vergangenheit die Zeichen gemehrt, dass die SPD stark auf Rot-Rot-Grün hinarbeitet. Machen wir uns nichts vor: Die Partei will zurück an die Macht. Im Land Berlin hat die SPD schon einen völlig unmöglichen Koalitionsvertrag mit den Linken und Grünen zugestimmt, nur um die Macht zu erhalten. Für das Kanzleramt würde die SPD so manche schwer verdauliche Kröte schlucken. Deshalb müssen wir als Union im September so stark werden, dass gegen uns keine Regierung gebildet werden kann. So einfach ist das.
Ist Schulz ein schwierigerer Gegner als es Sigmar Gabriel gewesen wäre?
Ach wissen Sie, ich bin Fußball-Fan. Da gilt die Devise: Ganz egal, wer kommt - es muss gewonnen werden.
Angela Merkel ist Europäerin wie Martin Schulz. Er hat die Kanzlerin selbst in der Flüchtlingspolitik unterstützt. Sind die zwei nicht zu ähnlich für echten Streit?
Angela Merkel ist vor allem die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Sie setzt alles daran, dass Deutschland seine Spitzenposition in der Welt auch in der Zukunft behauptet. Ich habe von Herrn Schulz bislang wenig zu den wichtigen innenpolitischen Themen gehört. Und: Herr Schulz mag ein überzeugter Europäer sein. In der Euro-Rettungspolitik denkt er aber offenbar anders als wir und hat Sympathien für die Vergemeinschaftung von Schulden. Aber warten wir ab, wie er sich demnächst zu vielen Herausforderungen äußert, mit denen unser Land konfrontiert ist.
Zweite Überraschung aus der SPD: Sigmar Gabriel ist Außenminister. Was erwartet die Union von ihm im neuen Amt?
Wir leben in außenpolitisch schwierigen Zeiten. Diese Aufgabe muss mit vollem Engagement wahrgenommen werden. Es müssen Gesprächsfäden zur neuen US-Administration aufgebaut werden. Das Verhältnis zu Russland ist heikel. Wie verhalten wir uns gegenüber der Türkei? Und nicht zuletzt: Es müssen mit den Ländern Nordafrikas weitere Abkommen über die Rücknahme von Flüchtlingen geschlossen werden. Insgesamt erwarte ich mir einen starken Einsatz des Außenministers, damit das nicht alles nur von der Bundeskanzlerin gemacht werden muss. Die Welt ist zu kompliziert, als dass ein Außenminister sich in erster Linie auf den Wahlkampf konzentrieren kann. Die SPD ist mir schon zu sehr im Wahlkampfmodus. 2017 ist in Deutschland ein wichtiges Wahljahr, richtig. Es ist aber auch ein Jahr, in dem man verdammt aufpassen muss, dass sich die Welt in vielerlei Hinsicht nicht in die falsche Richtung entwickelt. Deshalb ist 2017 durchgängig harte Regierungsarbeit angesagt.
Kann sich die Kanzlerin auf den Berufsanfänger Gabriel verlassen?
Beide haben in der Koalition bislang gut zusammengearbeitet. Ich hoffe, das bleibt so.
Wirklich - mit einem Mann, der Angela Merkel "Naivität" und "Übermut" in ihrer Flüchtlingspolitik unterstellt?
Das hat bei Sigmar Gabriel auch schon alles ganz anders geklungen. Vielleicht klingt es morgen wieder anders.
Wenn wir auf den Wahlkampf von Ihrer Seite gucken: Bis jetzt war vom "wir" zwischen CDU und CSU wenig die Rede. Sie können fest davon ausgehen, dass wir als Union geschlossen in den Wahlkampf gehen mit einer gemeinsamen Kanzlerkandidatin. Wir werden das in München genau so beschließen. Wir werden zeigen, dass in diesen schwierigen Zeiten auf uns als Parteien von Maß und Mitte Verlass ist.
Nur dass Horst Seehofer weiter schrill dazwischen die "Obergrenzen"-Pfeife bläst? Wir sind uns einig, dass wir mit gemeinsamen Zielen in den Wahlkampf gehen werden. Es wird Punkte geben, die die CSU speziell in ihren Bayern-Plan aufnehmen wird. Das war aber schon immer so. Das ändert nichts daran, dass wir gemeinsam daran arbeiten, wieder die Regierung führen zu können. Das will auch die CSU.
Entschuldigung, das will Seehofer nur dann, wenn er seine Obergrenze kriegt! Erst einmal müssen wir die Wahl gewinnen. Alles andere entscheiden wir nach dem 24. September.
Die SPD will mit "Sicherheit und Gerechtigkeit" beim Wähler punkten. Was sind Ihre zentralen Begriffe?
Wir stehen momentan am Beginn unserer Debatte über das Wahlprogramm. "Stabilität" und "Sicherheit" werden aber sicher wichtige Überschriften sein. Wir werden darauf hinweisen, dass Angela Merkel mit ihrer Erfahrung und ihrem Geschick die Politikerin ist, die am allerbesten geeignet ist, Deutschland gut durch die international schwierigen Zeiten zu führen. Der Schutz vor Terror und Kriminalität sind dann zentrale Punkte beim Thema Sicherheit. Es geht dabei auch um die Absicherung des Lebens im weiteren Sinne. Darunter fällt die Zukunft des Lebens im ländlichen Raum, ein Thema das uns schon seit Jahren am Herzen liegt. Wir werden einen Plan vorlegen, wie das Leben außerhalb der großen Städte attraktiv gehalten werden kann. Der dritte wichtige Begriff wird "Zukunft" lauten. Deutschland muss fit für die Zukunft bleiben. Unsere Wirtschaft muss ihre Spitzenposition verteidigen, damit alle im Land gut leben können. Das kommt bei der SPD und allen anderen Parteien immer viel zu kurz.
Nachholbedarf in Gerechtigkeit sieht die Union nicht?
Gerechtigkeit hat viele Aspekte. Im Bundeshaushalt geben wir mehr als 50 Prozent im sozialen Bereich aus. Die, die Hilfe benötigen, erhalten im Sinne der Gerechtigkeit von denen, den es besser geht, also den Steuerzahlern, schon sehr viel Geld. Da besteht sicher kein Nachholbedarf.
Und die Gerechtigkeit für die Steuerzahler bleibt wo?
Richtig: Die, die sich jeden Tag mühen und Steuern zahlen, dürfen nicht immer weiter belastet werden. Das wäre auch ungerecht. Daher sagen wir klar: Es wird in der nächsten Wahlperiode gerade für Menschen im unteren und mittleren Einkommensbereich zu steuerlichen Entlastungen in der Größenordnung von 15 Milliarden Euro kommen. Bei dieser Zusage bleibt es.
Zwischen CDU und CSU war umstritten, ob punktuell Steuererhöhungen möglich sind. Ist dieser Streit beigelegt?
Die CDU hat beschlossen, dass sie Steuererhöhungen grundsätzlich ausschließt. Es wird keine höheren Steuersätze, keine höhere Erbschaftsteuer und keine Vermögensteuer geben. Es ist aber denkbar, dass wir die pauschale Abgeltungssteuer auf Zinserträge abschaffen können und Zinsen wieder wie andere Einkommensarten besteuert werden. Voraussetzung wäre, dass die Steuerdaten international umfassend ausgetauscht werden können. Wir müssen sehen, ob man nach 2017 schon so weit ist. Käme diese Umstellung der Besteuerung, dann könnte das bedeuten, dass einzelne, aber auch nicht alle Betroffenen mehr zahlen müssen.
Die SPD will die Abgeltungssteuer auch abschaffen - da könnten Sie doch nach der Wahl gleich wieder koalieren?
Grundsätzlich könnte die Koalition fortgesetzt werden. Aber in einer Demokratie wäre es sicher besser, wenn nicht mehrfach hintereinander eine große Koalition regiert. Mal sehen, welchen Auftrag die Wähler uns geben. Dann müssen wir in diesen schwierigen Zeiten sehr rasch eine gute Regierung bilden.
Die AfD will im Wahlkampf mit Provokationen die Schlagzeilen bestimmen. Wie geht die Union damit um?
Wo Tabubrüche zugleich Kulturbrüche sind wie die Aussagen des Herrn Höcke zum Holocaust-Mahnmal und zum Umgang mit der NS-Vergangenheit, muss denen entschieden widersprochen werden. Wir dürfen zu rechtsradikalen Aussagen nicht schweigen. Es reicht eine klare und ruhige Ansage: Mit uns nicht! Provokation hat nur Erfolg, wenn einer sich provozieren lässt.
Sprechen dagegen nicht die Erfahrungen aus den USA, die einen Mann zum Präsidenten haben, für den der Tabubruch Markenzeichen ist?
Deutschland ist nicht Amerika. Die Mehrheit der Bürger reagiert vielleicht wegen der Geschichte Deutschlands sehr sensibel auf große Vereinfacher. Die Parteien sind sich auch überwiegend ihrer Verantwortung bewusst.
Wieso behauptet dann die Union, dass dieser Wahlkampf so schwer wird?
Wir werden uns emotional streiten, aber sachlich bleiben. Das erwarte ich allerdings nicht von der AfD. Der Wahlkampf wird aber von außen beeinflusst werden. Bewusste Falschmeldungen werden zu diesem Wahlkampf gehören.
Wann ist Ihnen denn eigentlich die letzte Falschmeldung begegnet?
Im Netz werden täglich Falschmeldungen gestreut. Auch in meinen E-Mails taucht immer wieder eine Behauptung auf: "Sie wollen einfach alle Flüchtlinge ins Land lassen!"
Das ist doch keine Falschmeldung! Das ist eine objektiv falsche Aussage über mich. Dagegen muss man sich wehren. Eine solche Unwahrheit verbreitet sich über soziale Netzwerke rasend schnell und bleibt dort stehen. Wir müssen Wege finden, wie wir mit unserem Widerspruch die Menschen erreichen, die in den sozialen Medien unterwegs sind.
In Washington hat es ein Twitter-Troll zum Chef gebracht, der jetzt von Nato bis Welthandel alles in Frage stellt. Wie reagiert Deutschland auf "America first"?
Wir müssen Europa mehr denn je zusammenführen. Vielleicht begreifen 2017 nun endlich alle Staaten, dass wir zusammenstehen müssen. Überall - in der Verteidigungs-, in der Flüchtlings-, in der Wirtschaftspolitik. Europa muss sich einig sein, Donald Trump davon abzubringen, den freien Welthandel einzuschränken.
Ja und, was wollen Sie dagegen tun? Reden. Reden. Reden. Wir werden unsere Gesprächspartner in den USA daran erinnern, dass Autos in Amerika nicht billiger, sondern teurer werden, wenn der US-Präsident die Zölle erhöht. Außerdem ist auch Amerika auf Exporte angewiesen.
Woher nehmen Sie den Glauben, dass ein Mann wie Trump einem solchen Gespräch überhaupt zugänglich ist?
So lange wir es nicht versucht haben, können wir die Frage nicht beantworten.
Hat Europa Druckmittel?
Ich würde davon abraten, dass wir über Druckmittel reden. Drohen und Gegendrohen führt in der Regel nicht weiter. Ich setze auf ein ernsthaftes Gespräch. Aber natürlich könnte theoretisch auch Europa höhere Zölle erheben. Das wäre aber der falsche Weg.
Und wenn Trump nicht hören will?
Der US-Präsident kann auch nicht alles allein. Es gibt in Washington auch noch ein Parlament. Wir werden uns auch an die Senatoren und Abgeordneten wenden. Ich werde noch im Februar selbst nach Washington fliegen.
Das Gespräch führten Antje Sirleschtov und Robert Birnbaum
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