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Afghanistan ist (noch) kein zweites Irak - aber Unzufriedenheit und Ungeduld wachsen - Große Umfrage von ARD mit ABC und BBC zeigt wachsende Spaltung des Landes

Köln (ots)

Afghanistan ist (noch) kein zweites Irak - aber
Unzufriedenheit und Ungeduld wachsen - Große Umfrage von ARD mit ABC 
und BBC zeigt wachsende Spaltung des Landes
Sechs Jahre nach dem Sturz der Taliban zeigt sich in Afghanistan 
eine wachsende Kluft zwischen den umkämpften Provinzen im Südwesten 
und Osten und dem relativ ruhigen Nordosten, wo die Bundeswehr ihr 
Haupteinsatzgebiet hat. Dieses Ergebnis ergibt eine große 
repräsentative Umfrage, die das "Afghan Institute for Social and 
Public Opinion Research" im Auftrag von WDR/ARD, ABC und BBC 
durchgeführt hat.
Auf den ersten Blick zeichnen die Zahlen ein unerwartet positives 
Bild, das den Einschätzungen von Medien und Hilfsorganisationen zu 
widersprechen scheint: eine Mehrheit der Afghanen (54 %) glaubt 
weiter, dass das Land sich in die richtige Richtung bewegt, die 
Regierung von Präsident Karsai bekommt positive Werte (je nach Frage 
zwischen 63 und 82 %) , Deutschland genießt hohes Ansehen am 
Hindukush (70 %) , und selbst für die USA schwanken die Werte 
zwischen einer sehr für islamische Länder ungewöhnlich hohen 
Grundsymphatie (66 %) und dramatisch gesunkenen Noten für ihr 
konkretes Engagement in Afghanistan: nur noch 42 Prozent der 
Befragten bewerten die Leistung der USA mit gut oder sehr gut, ein 
Rückgang um 25 Prozent gegenüber einer ähnlichen Umfrage vor zwei 
Jahren.
"Ihre Brisanz entfaltet die Befragung von 1377 Frauen und Männern 
vor allem beim Blick auf die extremen Unterschiede zwischen den 
Regionen", erläutert Arnd Henze, der als stellvertretender 
Auslandschef des WDR die Umfrage betreut hat.
Besonders eindrücklich zeigen sich die Gegensätze bei der Frage nach 
der Zukunftserwartung für die eigenen Kinder. Landesweit rechnen 51 
Prozent der Afghanen damit, dass es ihre Kinder einmal besser haben 
werden. In der südwestlichen Provinz Kandahar, wo neben den USA vor 
allem kanadische NATO-Truppen gegen die wieder erstarkten Taliban 
kämpfen, teilen nur 18 Prozent diese Hoffnung - in Kunduz, wo die 
Bundeswehr im Einsatz ist, sind es 66 Prozent.
Entsprechend beschreiben 70 Prozent der Befragten im Nordosten die 
Sicherheitslage positiv, während im Südwesten eine fast genau so 
deutliche Mehrheit (62 %) zu einem negativen Urteil kommt.
Daraus ergibt sich fast zwangsläufig die Bewertung ausländischer 
Truppen in den verschiedenen Regionen : stieg im Nordosten die 
Unterstützung für die NATO-Schutzschutztruppe ISAF innerhalb des 
letzten Jahres von 70 auf 72 Prozent, so halbierten sich nahezu die 
Werte im Südwesten von 83 auf gerade noch 45 Prozent. "Man kann 
anhand der sehr genauen örtlichen Tabellen erkennen, wie jeder 
Militärschlag mit zivilen Opfern die Stimmung gegenüber den 
Amerikanern unmittelbar zum Kippen gebracht hat.", erklärt Arnd 
Henze.
Bemerkenswert ist allerdings, dass - anders als im Irak - nur wenige 
den Sturz der Taliban durch ausländische Truppen grundsätzlich in 
Frage stellen. Im Gegenteil: in vielen Gegenden werden die USA und 
ihre Verbündeten als zu schwach und zu wenig präsent im Kampf gegen 
die wieder erstarkten Taliban erlebt. Insofern wächst  die Ungeduld 
mit den ausländischen Truppen - in der Frage nach einem Abzugstermin 
ist die Bevölkerung zunehmend gespalten: 48 Prozent der Afghanen 
befürworten einen Abzug der US-Truppen innerhalb der nächsten beiden 
Jahre, 41 Prozent wollen, dass die Truppen so lange bleiben, bis die 
Sicherheitslage im Lande stabil ist. Vor zwei Jahren hatten sich noch
zwei Drittel der Befragten für ein langfristiges Engagement der 
US-Truppen ausgesprochen.
Beunruhigend ist, dass die Zustimmung zu Anschlägen gegen US-Truppen 
im Südwesten von 7 auf 27 Prozent gestiegen ist- und auch im 
Nordosten, wo die Bundeswehr im Einsatz ist, zeigt inzwischen fast 
jeder fünfte Sympathie für Gewalt gegen die ISAF-Truppen.
"Diese Werte sind allerdings noch weit von der Situation im Irak 
entfernt", erläutert Arnd Henze, "dort unterstützt nach einer 
vergleichbaren Umfrage sogar eine Mehrheit der Bevölkerung (57 %) 
Anschläge auf fremde Truppen."
Angesichts der andauernden Kämpfe befürworten 60 Prozent der 
Afghanen das umstrittene Angebot von Präsident Karsai, mit den 
Taliban zu verhandeln und sie in eine Regierung einzubinden.
Überhaupt erzielt Hamid Karsai in unterschiedlichen Fragen 
ungewöhnlich positive Werte. Diese Zustimmung ist allerdings vor 
allem mit dem Mangel an Alternativen zu erklären. Nur 4 Prozent 
bevorzugen eine Führung durch die Taliban, eine Herrschaft regionaler
Kriegsherren oder ein Regime aus religiösen Führern finden überhaupt 
keinen Rückhalt in der Bevölkerung. "Nach Jahrzehnten von Kriegen und
unterschiedlichen Schreckensregimen setzen die Afghanen auch 
gegenüber der eigenen Regierung immer noch auf das Prinzip Hoffnung",
so Henze.
Wie sich die Situation in Afghanistan weiter entwickelt, wird 
entscheidend von Fortschritten beim Wiederaufbau des Landes abhängen.
Hier zeigt sich im Einsatzgebiet der Bundewehr ein gemischtes Bild: 
im Vergleich zu einer ähnlichen Umfrage vor einem Jahr sehen die 
Menschen erhebliche Fortschritte beim Bau von Straßen und Brücken, 
bei der Versorgung mit sauberem Wasser sowie beim Angebot an Schulen.
Dagegen gibt es bei der Versorgung mit Strom und Heizöl, bei der 
Schaffung von Arbeitsplätzen und beim Aufbau der Polizei deutliche 
Rückschläge. Und besonders belastend für die Menschen ist der enorme 
Anstieg der Preise für Lebensmittel - 60 Prozent der Haushalte 
verfügen über ein Monatseinkommen von unter 100,- US-Dollar.
Gegen den landesweiten Trend hat sich im Nordosten die Situation der 
Frauen weiter positiv entwickelt: 72 Prozent beschreiben sie als gut 
oder sehr gut. Vor allem in den Kampfzonen im Südwesten und Osten 
leiden dagegen die Frauen besonders unter dem zunehmenden Chaos: in 
der Provinz Helmand bewerten nur noch 22 Prozent der Befragten die 
Situation der Frauen positiv.
Bei konkreten Fragen zeigen sich darüber hinaus extreme Unterschiede 
zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Stadt- und 
Landbevölkerung. So unterstützen 90 Prozent der Frauen in Städten die
Position, dass Frauen Regierungsämter übernehmen sollen - nur eine 
Minderheit der Männer sieht das ebenso. Und während 42 Prozent der 
weiblichen Stadtbevölkerung in den Städten die Burka ablehnen, halten
84 Prozent aller Männer an dieser Form der Verhüllung fest.
Ein weiteres kontroverses Thema der Umfrage betrifft den 
Drogenanbau. Das Land produziert 93 Prozent des weltweiten Rohopiums.
Die Milliarden-Einnahmen finanzieren nicht zuletzt die Aufrüstung der
Taliban und lokaler Warlords. Landesweit fordern 86 Prozent der 
Afghanen Maßnahmen der Regierung. Zugleich hält aber mehr als ein 
Drittel (36 %) den Opiumanbau für legitim, solange es für die 
Menschen keine andere Form des Broterwerbs gibt. In den Provinzen, 
die besonders mit Drogenanbau zu tun haben, sind es sogar fast 
doppelt so viele (64 %), die diese Einschränkung machen.
Mit fast 100 Fragen an 1377 Männer und Frauen ist die Umfrage von 
ARD, ABC und BBC die umfangreichste und differenzierteste 
Untersuchung, die seit dem Sturz der Taliban vor sechs Jahren in 
Afghanistan durchgeführt wurde. "Nur der genaue Blick auf die Lage im
Lande bewahrt uns vor der Falle, die Entwicklung entweder schön zu 
reden oder in lähmende Schwarzmalerei zu verfallen", erklärt 
WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn, der die Studie am heutigen Montag
in der Tagesschau und in den Tagesthemen präsentieren wird. "Die 
Umfrage wird sicher auch helfen, die politische Diskussion über das 
zukünftige Engagement in Afghanistan zu schärfen."
Die Ergebnisse der Umfrage werden zeitgleich auch in den USA und in 
Großbritannien veröffentlicht.
Hinweis: Der WDR bietet auf Anfrage detaillierte Einzelergebnisse 
und der Befragung an. Bei Grafiken bitte "Quelle: WDR, ABC und BBC" 
angeben.
Für Rückfragen steht Ihnen Arnd Henze unter 0173/2776039 oder  
arnd.henze@wdr.de zur Verfügung.

Pressekontakt:

WDR Pressestelle, Annette Metzinger, Tel. 0221 220 2770, -4605
annette.metzinger@wdr.de

Original-Content von: WDR Westdeutscher Rundfunk, übermittelt durch news aktuell

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