Das Erste: Joachim Gauck: Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zum
Streit um den Aufbau Ost
Mittwoch, 2. Mai 2001, 23.00 - 23.30 Uhr
Köln (ots)
Die Diskussionen über die Finanzhilfe für die fünf neuen Länder reißen nicht ab. Gestritten wird darüber, ob der ohnehin geplante Solidarpakt II ausreicht oder ob ein zusätzliches Sonder-Investitionsprogramm her muss; die Rede ist von zwei Milliarden Mark jährlich. Einer, der die Debatte ganz wesentlich angestoßen hat, ist Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD). Mit seinen fünf Thesen zur Lage im Osten Deutschlands ließ er das Bild von den blühenden Landschaften endgültig zur Makulatur werden: "Eine ehrliche Bestandsaufnahme muss feststellen, dass die wirtschaftliche und soziale Lage in Ostdeutschland auf der Kippe steht." Unmissverständliche Worte, mit denen Thierse auch in seiner eigenen Partei aneckte - schließlich ist der Aufbau Ost Chefsache des Kanzlers.
Bei Joachim Gauck wird der Mann, der gelegentlich als "Mundwerk der Ossis" bezeichnet wird, zur Lage in den neuen Ländern Stellung nehmen. Was muss getan werden, um Deutschlands Osten zu helfen? Wie bekämpft man sowohl Wirtschafts- als auch Identitätskrise? Zu erwarten sind ehrliche, offene Antworten, denn ein bequemer Politiker war der 57-jährige Thierse noch nie. Im Iran brachte er das harte Vorgehen gegen Oppositionelle zur Sprache. Als der brandenburgische Innenminister Schönbohm Opfer von Neonazis abschieben lassen wollte, sprach Thierse von Rassismus. Die Art, wie er auf den Finanzskandal der Christdemokraten reagierte, ließ CDU-Fraktionschef Friedrich Merz über den "parteiischsten Bundestagspräsidenten" der Geschichte klagen. Jetzt verlangt Thierse von der CDU Auskunft über die neuerlich aufgetauchte "Kiep-Million".
Dass ihn das Amt des Bundestagspräsidenten nicht zum "politischen Eunuchen" machen werde, daran ließ der Politiker von Anfang an keine Zweifel. Thierse ist anders als andere Politiker: ein Germanist mit Unikarriere, intellektuell und unangepasst. Noch immer lebt er mit seiner Familie in der kleinen Mietwohnung am Prenzlauer Berg. Politik macht er mit Ernst, Würde und moralischen Appellen - zum "Gegenspieler der Spaßgesellschaft" ernannte ihn denn auch die Süddeutsche Zeitung.
Redaktion: Heribert Schwan
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