WDR Fernsehen, Sonntag, 30. Juni 2002, 21.45 - 22.30 Uhr
Menschen
und Hotels
Grand Hotel Europa, St. Petersburg
Ein Film von Rita
Knobel-Ulrich
Köln (ots)
Europas alte Residenzen - es sind keine anonymen Glas- und Glitzerpaläste. Es sind Häuser mit Tradition und Geschichte. Sie waren und sind die feine Kulisse für Leidenschaften, Politik und Kunst. Die Dokumentationsreihe erzählt Geschichte und Geschichten von Nobelherbergen dieser Welt.
Es ist ein Mikrokosmos des heutigen Russland: das Grand Hotel Europa in St. Petersburg. Im edlen Jugendstilrestaurant zupfen bedürftige Musiker die Harfe und begleiten pürierte Suppen und Birne Helene, wenn businessmeny tafeln. Die Musikanten bessern ihr mageres Gehalt auf, die businessmeny wickeln beim Essen ihre undurchsichtigen Geschäfte ab.
Im Hotel herrscht für alle Sicherheitsstufe 1. Wie auf dem Flughafen muss jeder durch einen Metalldetektor, wird von Sicherheitskräften genau beäugt. Erst dann kann man gemütlich durch die Eingangshalle in die Bar schlendern zu Igor, Doktor der Geologie. Seit einigen Jahren arbeitet er sich nicht mehr durch das ewige Eis am Polarkreis, sondern durch die Eiswürfel von Cocktails. Der Staat hat seinen Lohn nicht mehr gezahlt, also beschränken sich seine Expeditionen nun auf die Bar. Er nimmt es philosophisch. So sei das Leben nun mal. Die Hotelwäsche waschen Ingenieurinnen, die Zimmer putzen ehemalige Krankenschwestern.
Engelbert Gamsriegler, der österreichische Chefkoch des Hotels, ist eigentlich ein Gemütsmensch, nur mit den Kaviarhändlern legt er sich beim Probieren ihrer Ware regelmäßig an. Einmal hat er Kaviar, den er für ungenießbar hielt, einfach wegkipppen lassen. Den grauen, körnigen, milden, lässt er als kleine Aufmerksamkeit des Hauses für den erlauchten Gast von Suite 112 aufs Zimmer bringen, zusammen mit einer Flasche Champanskoe. In 112 wohnt José Carreras, der immer, wenn er in Petersburg gastiert, ins Grand Hotel geht. Selbstverständlich ist seine Suite mit einem richtigen Piano ausgestattet, so wie es die großen Musiker und Komponisten, die hier abstiegen, gewohnt waren. Carreras ist sich dessen bewusst, dass hier Tschaikowskij, Prokofjef, Schostakowitsch gewohnt, diniert, musiziert haben und auch die fürstlichen Verwandten der Zarenfamilie einst hier logierten. Doch damit war 1917 Schluss.
Um die Ecke vom Europa, im Winterpalais, begann der Sturm auf die alte Ordnung. Aus Petersburg wurde Petrograd, dann Leningrad. In die russische Nobelherberge zog der Mief des realen Sozialismus ein.
Erst nach der Perestrojka kam der alte Glanz wieder. Aus der Stadt der Revolution, Leningrad, wurde wieder St. Petersburg, das Jevropejskaja wieder zum Grand Hotel Europa - wunderschön restauriert. Olga und Igor wurden geschult und begrüßen nun routiniert Gäste aus aller Welt: Filmstars, Politiker und Künstler.
WDR Fernsehen, Sonntag, 07. Juli 2002, 21.45 - 22.30 Uhr Menschen und Hotels Sacher, Wien Ein Film von Rita Knobel-Ulrich
Europas alte Residenzen - es sind keine anonymen Glas- und Glitzerpaläste. Es sind Häuser mit Tradition und Geschichte. Sie waren und sind die feine Kulisse für Leidenschaften, Politik und Kunst. Die Dokumentationsreihe erzählt Geschichte und Geschichten von Nobelherbergen dieser Welt.
Vor seinem Anrichtebord hat Küchenchef Jaroslav Müller, ein Kochgenie aus Böhmen, stets den Spielplan der Wiener Staatsoper hängen. Danach richtet er sein Menü aus. Wenn der Domingo singt, haben sie Hunger! Nach Webers Freischütz hat der Küchenchef eine "Variation vom Reh" auf der Karte. Nach Verdi gibt's Tafelspitz und Strudel. Und stets hofft Müller, dass die Sängerin heute Abend nicht so schrecklich dünn ist. Dicke Sängerinnen sind besser. Dann essen die Gäste auch mal Knödel beim Opernsouper im Sacher.
Eine Büste der superdünnen Kaiserin Elisabeth, auch als Sissi bekannt, steht in der Ecke des Frühstückssaals direkt vor den Hörnchen, ein Tribut des Hotels ans Kaiserhaus, weiß man doch im Sacher, was man dem Monarchen Kaiser Franz Joseph verdankt. Die hohen Herrschaften gehörten zur besten Klientel des Sacher. Bei den Habsburgern herrschte nämlich ein strenges Regiment. Gäste des Hotels gingen mit wehendem Federbusch, aber hungrig nach Hause, denn sie mussten aufhören zu essen, wenn der Kaiser fertig war. So dinierte man vor Einladungen bei Hofe ausgiebig im Sacher. Dort wurde man wenigstens satt.
Den Kaiser gibt's nicht mehr. Aber Hofschauspieler und Hofräte haben überlebt, jedenfalls im Sacher. Chefportier Peter Wanninger erhebt auch heute noch jeden in den Adelsstand, würdigt Grafen
und Barone, auch wenn sie draußen abgeschafft sind, erweist auch Diplomkauffrauen und Kommerzialratswitwen die Ehre. Bis in die Küche pflanzt sich die Ehrerbietung fort: Wie belieben Frau Baronin die Marillenknödel?
Legendär sind im Sacher nicht nur die Marillenknödel, sondern auch die Separees. Heute sind Beziehungskisten viel cooler. Trotzdem könnte Oberkellner Calabrese stundenlang erzählen, wenn er nicht so schrecklich diskret wäre. Der berühmteste Separee-Besucher jedenfalls war König Edward von England, natürlich mit der geschiedenen Wallis Simpson, für die er 1936 auf den Thron verzichtete.
Ob Edward auch von der berühmten Torte probiert hat? 900 dieser Kalorienbomben werden am Tag gebacken, 7000 Eier werden von Hand getrennt. An Festtagen verschickt das Sacher einige tausend dieser Schokoladenwunder bis Tokio und Texas! Berühmt wurde der Wiener Tortenstreit, als eine andere Konditorei reklamierte, sie besitze das einzig wahre Rezept. "Sacher und Wider-Sacher" nannten die Wiener das ironisch. Die Tortencrew ist übrigens loyal. Tapfer erklären sie, nie stünde ihnen der Sinn nach Matjeshering und Bratwurst. Die Torte schmecke immer.
WDR Fernsehen, Sonntag, 14. Juli 2002, 21.45 - 22.30 Uhr
Menschen und Hotels Savoy, London Film von Rita Knobel-Ulrich
Europas alte Residenzen - es sind keine anonymen Glas- und Glitzerpaläste. Es sind Häuser mit Tradition und Geschichte. Sie waren und sind die feine Kulisse für Leidenschaften, Politik und Kunst. Die Dokumentationsreihe erzählt Geschichte und Geschichten von Nobelherbergen dieser Welt.
Das Savoy gehört seit 1889 zu London wie der five o'clock tea und die Queen, Fish und Chips, Nebel und Windhundrennen. Cesar Ritz, dem ersten Hoteldirektor, gelingt gleich eine Art Kulturrevolution. Englische Gentlemen speisen zu jener Zeit im Club - Ehefrauen zuhause. Doch Cesar Ritz kennt die upper class, die Lords und Ladies, den Prinzen von Wales. Eine Dame überredet er, öffentlich zu dinieren - und auf einmal wird es fashionable, ins Savoy zu gehen.
Winston Churchill war jahrzehntelang Stammgast. Und bis heute tagen dort die Gentlemen des von Churchill gegründeten "Other Clubs". Wer dort Mitglied ist, bleibt laut Statut ein "undurchdringliches Geheimnis". Das Personal des Savoy sorgt diskret, zuverlässig und freundlich dafür, dass das Geheimnis auch gewahrt bleibt. Von Beginn an wird das Hotel zum Synonym für Reichtum und Verschwendung. Mit unzähligen Koffern und Zofen reisen Fürsten, Finanzmagnaten, Primadonnen an. Josephine Baker und die Primaballerina Anna Pavlova, Nelly Melba, die Primadonna - sie alle wohnten im Savoy.
Die berühmtesten Musiker spielten mit ihren Orchestern für die Gäste: Duke Ellington, Louis Armstrong, Benny Goodman. Die BBC übertrug die Tanzabende in alle Welt. "Stomping at the Savoy", zu deutsch "Stampfen im Savoy" wurde ein Markenzeichen - und ist es heute noch.
Anton Edelmann, Chefkoch seit fast zwanzig Jahren, kennt seine Gäste vor allem aus kulinarischer Sicht: "Wenn Pavarotti nicht singt, isst er; die Queen speist sehr wenig und ein bisschen langweilig; und Paul Mc Cartney vertilgt in erster Linie Sprossen."
Paul Pughes, der Hotelportier, ist für die Sonderwünsche der illustren Gäste zuständig. Er erledigt Unmögliches sofort. Schnell ein Privatflugzeug bereit stellen, das mal eben zum Lunch auf ein schottisches Schloss fliegt. Kugelsichere Anzüge besorgen, die richtige Antwort bei trivial pursuit liefern. "Wir können alles - außer Wasser in Wein verwandeln", ist sein Motto und das des Savoy.
WDR Fernsehen, Sonntag, 21. Juli 2002, 21.45 - 22.30 Uhr
Menschen und Hotels Des Bains, Venedig Ein Film von Rita Knobel-Ulrich
Europas alte Residenzen - es sind keine anonymen Glas- und Glitzerpaläste. Es sind Häuser mit Tradition und Geschichte. Sie waren und sind die feine Kulisse für Leidenschaften, Politik und Kunst. Die Dokumentationsreihe erzählt Geschichte und Geschichten von Nobelherbergen dieser Welt.
Als 1890 das Hotel Des Bains eröffnete, war der Lido eine kaum bewohnte schmale Landzunge vor Venedig. Das Hotel passte zum Zeitgefühl. Es wurde gerade schick, sich bräunen zu lassen und zum Baden zu fahren. Reiche Familien aus ganz Europa reisten mit großem Gefolge an, aber auch bekannte Künstler und Schriftsteller. Unter ihnen Rainer Maria Rilke und Thomas Mann mit Frau Katja und Bruder Heinrich. Im Hotel und am Strand begegnete Thomas Mann "Tadzio", der im "Tod in Venedig" "unsterblich" wurde. 1970 sucht Luchino Visconti Schauplätze für den gleichnamigen Film und belegt das Hotel für die Dreharbeiten ein halbes Jahr mit Beschlag.
Unzählige Liebesaffären haben sich im Grand Hotel Des Bains abgespielt. Marlene Dietrich begegnete hier Erich Maria Remarque. Der Maestro des russischen Balletts, Diaghilew, führte am Lido seinen jungen Geliebten Nijinskij in das mondäne Badeleben ein.
Chefportier Giancarlo Christante hat vor 45 Jahren als Page im Hotel angefangen und gibt sich sehr diskret. Zu seiner Freude kann er heute noch Ehepaare begrüßen, die als Kinder ihre Ferien am Lido im Des Bains verbrachten und die nun mit den greisen Eltern, Kindern und Gouvernanten anreisen. Doch heute, bedauert Christante, gebe es keine Contenance mehr. Die Damen trippeln nicht mehr mit Hut und Schleier, sondern in Latschen und Bikini durch die Halle.
Bis heute geblieben sind die altmodischen Badekabinen, in denen sich die Dramen des Ballet Russe abspielten; von denen aus Thomas Manns Aschenbach den Knaben Tadzio mit heimlicher Leidenschaft betrachtet hat, wo Rilke über die Zeitläufe nachdachte und dichtete. Die Kabinen kosten immer noch mehr, als mancher für ein ganzes Hotelzimmer zahlt.
Auch heute noch trinken Schriftsteller auf der Terrasse des Des Bains ihren Espresso, auch wenn sie nun Donna Leon heißen, Amerikanerinnen sind und Krimis schreiben. Und während der Kunstbiennale und der Filmfestspiele entfaltet sich manchmal noch eine leise Ahnung, wie es wohl in den alten Zeiten am Lido und im Grand Hotel Des Bains zugegangen sein mag.
Ü NDR
Redaktion: Beate Schlanstein
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