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Eckart von Hirschhausen im Interview zu seinem siebten Corona-Film

Eckart von Hirschhausen im Interview zu seinem siebten Corona-Film
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Köln (ots)

Die WDR-Dokumentation „Hirschhausen und der lange Schatten von Corona“ läuft am Montag (18.11.2024) um 20:15 im Ersten und vorab (16.11.) in der ARD Mediathek. Eckart von Hirschhausen spricht im Interview über die Hintergründe der Doku.

Warum jetzt noch ein Film über Corona?

Gute Frage! „Hirschhausen und der lange Schatten von Corona“ ist mein siebter Film zur Pandemie. Der Kern all dieser Reportagen war, nah dran an den Menschen zu sein, die wenig Aufmerksamkeit bekommen. Weil wir so kontinuierlich die Betroffenen begleitet haben, bekommen wir sehr viel mit, was sonst nur schwer in die Medien kommt. Long Covid betrifft mindestens mehrere hunderttausend Menschen in Deutschland, andere gehen von bis zu zwei Millionen aus. Die meisten schauen lieber weg und freuen sich, dass bei ihnen Corona folgenlos verlief. Wir schauen hin.

Wen trifft Long Covid?

Das kann bis heute niemand vorhersagen. Was aber auffällt: es sind doppelt so viele Frauen betroffen wie Männer und mehr jüngere Menschen als ältere. Das ist auch bei anderen Erkrankungen mit einer Überreaktion des Immunsystems der Fall, so wie beispielsweise bei Multipler Sklerose. Und auch Kinder sind betroffen. Schätzungen zufolge eins von hundert, die Covid hatten. Jeden Tag erreichen mich E-Mails und Anfragen. Es gibt da draußen Millionen, die Hilfe suchen und nicht bekommen.

Welche Schicksale haben sie besonders berührt?

Seit drei Jahren halten wir den Kontakt zu Andrea. Sie hat sich bei ihrer Arbeit als Physiotherapeutin angesteckt, gleich zu Beginn der Pandemie, wo die Gesundheitsberufe noch ohne Impfung und mit zu wenig Masken die Versorgung aufrechterhalten haben. Andrea entwickelte die schwerste Form von Long Covid: ME/CFS – das chronische Erschöpfungssyndrom. Vorher bestieg sie Berge. Jetzt kann sie nur noch im Bett liegen. Bis heute hat sie keine Anerkennung als Berufserkrankung, bekommt keine Unterstützung. Das Gericht sagt, es sei alles nicht belegbar. Das ist aus meiner Sicht ein Skandal. Die Behörden, Ämter, Kassen erkennen die Erkrankung nicht an. Und die Betroffenen müssen für alles eine Klage einreichen, egal ob es um eine Pflegekraft geht, Invalidenrente oder um den Grad der Behinderung. Ausgerechnet die Menschen, die für uns alle in der ersten Linie der Krankenversorgung ihren Kopf hingehalten haben, lassen wir bis heute derart allein. Das darf nicht sein.

Viele halten bis heute Long Covid für eine rein psychosomatische Erkrankung.

Es gibt Studien die folgendes zeigen: Wenn gesunde Mäuse die Immunzellen von Menschen mit Long Covid bekommen, entwickeln sie auch die typischen Symptome. Und da würde ja keiner sagen, dass sich die Mäuse das alles einbilden, oder schon vorher depressiv waren. Natürlich tragen Menschen, die vorher schon seelisch oder körperlich krank waren, auch ein höheres Risiko für weitere Erkrankungen. Und deshalb müssen auch die Fachrichtungen besser zusammenarbeiten. Wenn mein Körper nicht mehr so reagiert, wie ich ihn kenne, würde mich das auch extrem beunruhigen und mürbe machen. Man kann doch die Symptome und die menschlich-seelische Reaktion darauf nicht voneinander trennen.

Wie wirkt das Virus noch im Jahr 2024 nach?

Die vielfältigen Schäden, die das Coronavirus im Gefäßsystem und durch Gerinnsel hinterlässt, werden oft unterschätzt. Studien zeigen, dass jeder neue Infekt die Wahrscheinlichkeit für Herzerkrankungen und Schlaganfälle erhöht. Auch bei vollständig gesunden Menschen. Wir begleiten eine Long Covid Patientin, die sich als Apothekerin gut in der Medizinwelt auskennt. Ihre Hirnarterien sind verändert, das Herz vernarbt, Nervenfasern geschädigt. Und Teile des Virus, das sogenannte Spike-Protein, haben sich im Knochenmark festgesetzt und halten die Entzündung von dort aus in Gang. All das könnte erklären, warum es so viele verschiedene Symptome gibt. Und warum manche Menschen einfach nicht wieder gesund werden.

Was meinen Sie noch mit den langen Schatten von Corona?

Wir widmen uns auch den Folgen, die gar nichts mit dem Virus zu tun haben. Denn die Menge an jungen Menschen mit psychischen Symptomen hat enorm zugenommen. Es ging 20 Prozent schon vor der Pandemie schlecht, jetzt sind es 25 Prozent.

In der Dokumentation treffe ich Karl. Er ist heute 18 und litt unter Depressionen. Vielen Jugendlichen ging es im zweiten Lockdown schlechter als im ersten, auch ihm. Belastungen können sich offenbar anhäufen und das seelische Gleichgewicht zum Kippen bringen. Diese Generation hätte statt Lockdown und Schulschließungen auch lieber Party und Pubertät genossen. Wenn wir Älteren durch die Solidarität der Jungen vor Ansteckung geschützt wurden – was sind wir heute dieser Generation im Gegenzug schuldig? Ich finde, es ist Boomer-Pay-Back-Time!

Mit der Corona-Impfung kam auch die Debatte über Wirkung und Nebenwirkung. Was wissen wir heute besser als 2020?

In Deutschland haben sich 65 Millionen Menschen impfen lassen. Die große Mehrheit hat das gut vertragen, war vor schweren Verläufen geschützt und bekam seltener Long Covid. Das Dilemma kennt man auch von anderen Impfungen: Der Erfolg ist schnell vergessen, der Schaden aber bleibt. Es war falsch, eine komplett nebenwirkungsfreie Impfung zu versprechen. Alles, was wirkt, hat Nebenwirkungen.

Doch niemand weiß genau, wie viele Menschen durch die Impfung selbst krank wurden. Vielleicht sind es 10.000 Menschen, manche schätzen 20.000. Weil ich mich fürs Impfen stark gemacht habe, wollte ich auch die möglichen Langzeitschäden besser verstehen. Dafür gehe ich in Berlin Prenzlauer Berg zu einer Solidaritätsveranstaltung von Impfgeschädigten und spreche mit der Kabarettistin Christine Prayon, die selbst nach einer Impfung schwere Symptome entwickelt hat.

Sie waren selbst Impfproband und haben dazu 2021 einen Film gemacht, würden Sie das wieder tun?

Ja! Ich engagiere mich schon lange fürs Impfen, seit ich als Arzt in der Kinderneurologie mitbekommen habe, wie wichtig das ist. Klar hat meine wissenschaftsbasierte klare Haltung nicht allen gefallen. Bis heute bekomme ich dafür – wie ganz viele Menschen aus Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit – viel Hass, Unterstellungen bis hin zu gezielten Falschinformationen in den sozialen Medien ab. Die Gegenfrage muss doch sein: Bei aller Unsicherheit und Abwägungen, wären wir ohne die Impfung besser dran gewesen? Und die Antwort heißt eindeutig: Nein.

Was sind für Sie die wunden Punkte?

Warum haben wir so eine miserable Datenlage zu Impfschäden und Long Covid, wieso ist die Überwachung auf DNA-Reste in den Impfstoffen nicht so transparent wie in anderen Ländern, und waren die Schulschließungen über die lange Zeit ein Fehler? Über Post-Vac haben wir auch schon letztes Jahr berichtet, meines Wissens als eine der ersten in der Primetime. Ich nehme gerne Kritik an, wenn sie berechtigt ist. Aber wer schon meckert, bevor der Film überhaupt ausgestrahlt ist, disqualifiziert sich in meinen Augen selbst.

Ein großes Thema ist das Ausmaß an Desinformation, das die Pandemie begleitet. Wie gehen Sie damit um?

Information verbreitet sich im Internetzeitalter besonders schnell. Leider auch Falschinformationen. Es gab ein Video über große Gerinnsel im Zusammenhang mit Todesfällen nach Corona oder der Impfung, das wurde millionenfach geklickt. Es klingt so ein bisschen nach Krimi, aber ich bin tatsächlich in die Rechtsmedizin gegangen. Der leitende Professor erklärte mir direkt: „Mir ist das Video bekannt und das ist totaler Quatsch. Nach dem Tod gerinnt Blut. Es bleibt nicht dauerhaft flüssig und das sind Gerinnsel, die völlig unabhängig von der Impfung auftreten.“ Für mich ist das eine bittere Erkenntnis in dieser Pandemie: Man kann nicht nur an Viren versterben, sondern im übertragenen Sinne sogar an Worten, an Desinformation. Der Mann einer Freundin ist tatsächlich ungeimpft gestorben, weil er sich auf Videos verlassen hat, die gefährlichen Quatsch erzählt haben. Die Impfung hat sehr vielen Menschen geholfen schwere Verläufe zu verhindern. Sie hätte also höchstwahrscheinlich auch dem Mann meiner Freundin das Leben retten können.

Wann wird es eine Behandlung von Long Covid geben?

Die Impfung zu entwickeln, ging schnell. Es gab ein Virus, ein Ziel und viel Geld. Long Covid ist viel komplizierter zu behandeln. Es betrifft verschiedene Organe, jeder Fall ist etwas anders. Es wird kein einfaches „Wundermittel“ geben, mit dem man plötzlich viel Geld verdient. Deshalb interessiert sich auch die Pharmaindustrie nicht dafür. Momentan laufen in Deutschland mehrere kleine Studien zu Therapien und Medikamenten, doch die Forschung müsste viel besser koordiniert und finanziert werden, damit mehr bei den Patienten ankommt. Stand heute zahlen viele ihre Behandlungen selbst. Wir haben eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt und bekommen es nicht besser hin, das ganze vorhandene Wissen auch in die ärztliche Primärversorgung, in die Praxis, zu den Patientinnen und Patienten zu bringen. Das ist doch absurd.

Wann kommt die nächste Pandemie?

Keine Ahnung, wann genau. Aber Menschen, Bakterien und Viren sind immer im evolutionären Wettlauf. Durch Wildtierhandel, Klimakrise und das rapide Artensterben springen Krankheitserreger heutzutage immer schneller aus dem Tierreich auf den Menschen über. Eine andere Gefahr: Keime werden zunehmend gegen Antibiotika resistent. Pandemie-Kandidaten gibt es Tausende. Das ist wissenschaftlich leider sehr klar. Wir bräuchten von all dem Geld, was uns die Covid-Pandemie weltweit gekostet hat, nur ein oder zwei Prozent, um die nächste Pandemie am besten ganz zu verhindern, oder ganz früh zu erkennen und einzudämmen. Aber es gibt international immer weniger Bereitschaft, solche gemeinsamen Projekte solidarisch zu finanzieren. Für die globale Gesundheit sind die Ergebnisse der US-Wahlen ein echtes Desaster. „There is no glory in Prevention” – mit dem Verhindern von Krankheiten ist kein Blumentopf zu gewinnen. Warum eigentlich nicht? Wenn wir eins aus dieser Pandemie lernen sollten: Es wird nicht die letzte gewesen sein, wenn wir weiter machen wie bisher.

Wo ist bei all den langen Schatten von Corona etwas Erhellendes?

Es gibt auch ein bisschen Licht am Ende des Tunnels. Mich hat beeindruckt, wie viele Menschen sich engagieren, ihr Wissen teilen, und nicht locker lassen, bis sich Politik, Ärzteschaft und Krankenhäuser bewegen. Long Covid, Post Vac und ME/CFS sind hoffentlich bald zu durchschauen und zu behandeln. Die Experten sagen: Mit mehr Ressourcen, besserer Vernetzung und guter Versorgung kann das gelingen. Dieser Film ist auch ein Danke an alle, die diese Hoffnung hochhalten und jeden Tag ihr Bestes geben.

Weitere Informationen zur Dokumentation gibt es hier.

Für akkreditierte Journalistinnen und Journalisten steht die WDR-Dokumentation bereits jetzt im Vorführraum der WDR-Presselounge zur Verfügung.

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