Individuelle und risikoadaptierte Thromboseprophylaxe
Wie soll sie aus medizinischer und aus haftungsrechtlicher Sicht betrieben werden?
Köln (ots)
Die Prophylaxe venöser Thromboembolien (VTE) gehört bei Patienten mit operativen Eingriffen, Verletzungen oder akuten Erkrankungen zu den Behandlungsstandards, die in jeder Klinik in Deutschland vorgenommen werden. In die aktuelle Diskussion geraten ist allerdings die Methodik der Prophylaxe und die Betrachtung des individuellen Patientenrisikos. Im Rahmen eines Expertengespräches am 6. Juli 2012 in der Universität Köln gingen die Teilnehmer der Veranstaltung der Frage nach, welche präventiven Maßnahmen sowohl unter dem Gesichtspunkt des Patientenschutzes als auch der Haftungsvermeidung unverzichtbar sind.
Im klinischen Alltag gibt es eine Vielzahl von Situationen, in denen eine Prophylaxe venöser Thromboembolien (VTE) obligatorisch ist. Diesen Bedarf dokumentiert die aktuelle S3-Leitlinie "Prophylaxe der VTE" (http://ots.de/HjrgG), die jedoch von Experten zunehmend kontrovers diskutiert wird. Zu unscharf sei die Leitlinie in ihrer Formulierung. So stellt sich in der Praxis immer wieder die Frage, wie eine individuelle, risikoadaptierte, sach- und fachgerechte Thromboseprophylaxe umgesetzt werden soll: medikamentös, mit physikalischen Methoden oder mit beiden Strategien kombiniert. Diese Frage ist nicht nur aus dem Blickwinkel des Patientenschutzes, sondern auch aus haftungsrechtlicher Sicht relevant. Während eines Expertengespräches in der Universität Köln hatten die Teilnehmer der Veranstaltung die Möglichkeit, mit ausgewiesenen Fachleuten aus dem Bereich Medizin, Pflege und Recht ins Gespräch zu kommen und das Thema Thromboseprophylaxe ausführlich zu erörtern.
Besonders engagiert wurde auf die aktuell geführte Diskussion eingegangen, ob der Einsatz von medizinischen Thromboseprophylaxestrümpfen (MTPS) zusätzlich zu einer medikamentösen Thromboembolieprophylaxe noch erforderlich ist. Hierüber sind Anwender in Kliniken mangels eindeutiger Vorgaben zunehmend verunsichert. Einigkeit bestand unter den Diskutanten darüber, dass MTPS entsprechend den Vorgaben der S3-Leitlinie bei Patienten mit mittlerem bis hohem VTE-Risiko und Kontraindikationen gegen Antikoagulanzien angewendet werden sollten, und dass bei Patienten mit hohem Thromboembolierisiko nach abdominellen Eingriffen in Allgemeinchirurgie, Gynäkologie und Urologie der Einsatz von MTPS zusätzlich zu Basismaßnahmen und einer medikamentösen Prophylaxe notwendig ist.
Nach Ansicht von Professor Dr. Knut Kröger, Direktor der Klinik für Angiologie am HELIOS Klinikum Krefeld, ist es erforderlich, in Zukunft die Indikationen, bei denen MTPS beziehungsweise MTPS in Kombination mit Heparinen eingesetzt werden sollen, präziser zu definieren. "Geprüft werden sollte auch, ob es möglicherweise Patienten gibt, deren VTE-Risiko so gering ist, dass sie entweder nur MTPS oder möglicherweise auch gar keine Prophylaxe benötigen", so Kröger. Der Experte beklagte außerdem, dass in den üblichen Anamnesebogen zwei wesentliche Fragen fehlen, die auf ein hohes individuelles Patientenrisiko hindeuten. "Und zwar sind dies die Fragen nach einer Thrombose in der Vorgeschichte des Patienten und nach dem Bestehen einer familiären Thromboseneigung", ergänzte Kröger.
Professor Dr. Peter Kujath, Leiter der Thoraxchirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck unterstrich, dass MTPS einen eindeutigen, in Studien nachgewiesenen, antithrombotischen Effekt haben. "Allerdings unterscheiden sich die einzelnen Fabrikate im Hinblick auf ihre biomechanischen Eigenschaften zum Teil erheblich voneinander", so der Chirurg. Dies habe eine aktuelle Untersuchung der TU Berlin unter Leitung von Prof. Marc Kraft zeigen können, in der verschiedene Strumpffabrikate vergleichend geprüft worden seien. "Dabei wurde deutlich, dass nicht alle Modelle den für MTPS geforderten kontinuierlichen Druckabfall von distal nach proximal gewährleisteten", ergänzte Kujath. Die Untersuchungsergebnisse würden in Kürze veröffentlicht.
Heike Wrede, Fachkrankenschwester für Anästhesie- und Intensivpflege an der Uniklinik Köln, zeigte sich von der Wirksamkeit von MTPS überzeugt. "Für den Prophylaxeerfolg ist es allerdings unabdingbar, vor der Anwendung Kontraindikationen wie die periphere arterielle Verschlusskrankheit oder das diabetische Fußsyndrom bei den Patienten abzuklären", betonte Wrede. Entscheidend für die vorbeugende Wirkung von MTPS sei auch die Auswahl der richtigen Strumpfgröße. "Das korrekte Anmessen eines MTPS ist deshalb unverzichtbar", sagte Wrede.
Für den Einsatz von MTPS für die Thromboseprophylaxe spricht laut Professor Dr. Volker Großkopf, Köln, auch die Sorgfaltspflicht. "Um sich nicht dem Vorwurf eines groben Behandlungsfehlers auszusetzen ist es wichtig, sämtliche in der Indikation VTE-Prophylaxe etablierten Therapieoptionen zu berücksichtigen, also nicht nur die medikamentöse Prophylaxe", so der Experte für Medizin- und Pflegerecht. Unerlässlich sei außerdem die lückenlose Dokumentation der Maßnahmen: "Nur dann ist ein Arzt im Haftungsfall ausreichend geschützt. Denn die Nichtdokumentation von aufzeichnungspflichtigen Maßnahmen, zu denen auch die Verordnung von MTPS zählt, wird bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung grundsätzlich als Unterlassung der Maßnahme gewertet", informierte der Jurist.
Fazit der Veranstaltung: Die Anwendung von MTPS ist unter medizinischen wie haftungsrechtlichen Gründen empfehlenswert, allerdings unterscheiden sich die am Markt erhältlichen Strümpfe stark hinsichtlich des von Experten geforderten graduierten Druckverlaufs.
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